Herunter mit den Scheuklappen!
MOZARTEUMORCHESTER / HALLS / SONNTAGSMATINEE
18/01/16 „Heutzutage“, da sich das Denken in E- und U-Musik bestenfalls noch als Marketing-Strategie in Kaufhäusern findet, kann Erich Wolfgang Korngold Brücken schlagen zwischen amerikanischer und europäischer Kulturauffassung: Matthew Halls leitete die dritte Sonntagsmatinee des Mozarteumorchesters im Großen Festspielhaus. Solist im bejubelten Korngold-Violinkonzert war Benjamin Schmid.
Von Erhard Petzel
Besonders spannend sind Konzertereignisse, die den Hörer auf sich selbst verweisen, wenn er quasi aus dem Rahmen der Rezeptionsgeschichte von Werken in den Spiegel der eigenen kulturellen Sozialisierung blickt. Da reflektiert das Programmheft die Wertschätzung Korngolds nach 1945. Beeinflusst vom Zeitgeist klingt im tief eigenen Inneren der Vorwurf gegen erfolgreiche Musik, die nach dem Krieg dem Dreiklang huldigt. Tatsächlich trägt jeder kulturell interessierte Mensch auch Scheuklappen aus Neigungen und zeitgeistigen Strömungen. Das Mozarteumorchester reißt diese herab, wenn es mit Benjamin Schmid Erich Wolfgang Korngolds Violinkonzert ins Zentrum der Sonntagsmatinee (17.1.) setzt. Dass der Komponist darin seine Melodien aus erfolgreichen Hollywood-Produktionen zitiert, stellte vor Jahrzehnten in Europa leider ein Legitimationsproblem dar.
Heute, da sich das Denken in E- und U-Musik bestenfalls noch als Marketing-Strategie in Kaufhäusern findet, kann Korngold auch als Brücke zwischen amerikanischer und europäischer Kulturauffassungs-Geschichte dienen. So klassisch das Violinkonzert sich auch geben mag, konservativ im Sinne von überlebt ist diese Musik keinesfalls. Vielmehr baut sie eine ungeheure Spannung auf zwischen stellenweise fast minimalistischer Themenentwicklung und raffiniert kalkulierte Umgebung dazu.
Führen und Dienen, Schmelz und Virtuosität, Einfachheit und Komplexität – diese Musik schlägt in ihren Bann durch die traumwandlerische Ausgewogenheit der Reizmuster: Ein über drei Sätze gehender, einheitlicher Guss aus delikat arrangierten Spannungspools, deren Genialität durch Matthew Halls, das Mozarteumorchester und Benjamin Schmid in quasi symbiotischer Verschmelzung entfaltet wird. Klar, dass nach diesem Erlebnis das Publikum eine solistische Draufgabe vor der Pause abtrotzte.
Repertoiremäßig in die Landschaften der Konzertsäle eingebettet, konnte zuvor Bedrich Smetanas sauber musizierte „Moldau“ ohne Ecken und Kanten als Aufwärmstück gehört werden. Der slawische Rahmen – geschlossen dann mit mit Antonin Dvořáks Symphonie Nr. 7 d-Moll op. 70 - zeigte aber auch auf, welche Welten zwischen der Romantik des 19. Jahrhunderts und der eines Korngold liegen: Damit hat die Programmgestaltung einen interessanten Referenzrahmen abgesteckt.
Dem im ersten Satz noch nicht ganz konzentrierten Ohr half der interessierte Blick auf das Faltenballett in Matthew Halls’ Jackettrücken. Dieser ist ein Dirigent mit differenziertem und präzisem Bewegungsrepertoire. Sicher schifft der Kapitän seine Crew über die düsteren Wässer dieser Sinfonie und holt den wild zappelnden Fang eines begeisterten Publikums in den ausverkauften Frachtraum des Großen Festspielhauses ein.