… und vergiss all‘ Not und Qual
CHRISTUSKIRCHE / BACHWERK VOKAL
23/11/15 Was immer an Seelenschwächen und Jenseitsdrängen in Bachs Kantaten BWV 70, 229 und 140 erschallt, das sechste Konzert im ambitionierten Zyklus „BachWerkVokal“ zeugte von Zähigkeit und Kraft der Jugend und dem unbändigen Willen, ein Ziel zu erfüllen und seinen Stellenwert zu definieren.
Von Erhard Petzel
Gordon Safari ist sichtbar bewegt vom Bedürfnis zu gestalten und sich mitzuteilen. Dazu kommt der Anspruch, nicht nur die prekäre Lage seines Unternehmens zu bewältigen, sondern die Leistung aller Beteiligten auch als Basis für die Solidarität mit Notleidenden anzubieten. Und das Publikum wird eingebunden, Genregrenzen werden durchbrochen. Safari ist ein Katalysator für eine Salzburger Musikerszene, die offenbar auf Gelegenheiten zum Aufbruch lauert. Das ist so interessant wie inhomogen, eine vielfältige Plattform auch für Experimente und nicht ganz Kohärentes. So viel muss gesagt sein, bevor man sich kritisch in Details verliert.
Während das schlanke Sängerensemble seinen Part sicher und auf breiter Basis die Solisten stellt, grummelt es zunächst etwas im Orchester. Das kommt bei „Wachet! betet! betet! wachet!“ BWV 70 dem Bass (rund und koloraturstark: Roland Faust) im Rezitativ Nr. 9 und der folgenden Arie zugute, wenn der Welt Verfall und ihre und des Himmels Zertrümmerung höchst expressiv geschildert werden, auch Furcht und Zweifel sind beklemmend fahl.
Aber der Seelen Freudenschein will nicht so recht aufleuchten. Die Wiedergabe des Violinkonzerts in E-Dur BWV 1042 schärft das Empfinden dafür, dass es auch seine Schwierigkeiten und Tücken enthält. Als Ausgleich lädt Safari das Publikum ein, den Choral „Freu‘ dich sehr, o meine Seele“ mitzusingen. In den beiden Nummern von „Komm, Jesu, komm“ BWV 229 überrascht er mit neuem Raumklang der Sänger von den Balkonen bei zarter Instrumentalbesetzung.
Nicht mehr irritierend ist die Stimmung der B@roqueB@nd in der Kantate „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ BWV 140 mit bewegenden Bläserlinien und einem wundervollen Oboen-Kontrapunkt zum transzendenten Liebesduett von Sopran (Diana Plasse) und Bass (Samo Lampichler). Ablenkend vielleicht die projizierten Sandbilder Susann Rubins als den Text kontinuierlich illustrierende Graphic Novel. Andrerseits ein Augenglanz für im Konzert solcherart unterstützte visuelle Typen.
Im Gegensatz zum Buddhismus fehlt bei uns die Sicherheit bei ikonografischer Umsetzung religiöser Inhalte. Dafür erhielt der Konzertbesucher einen Leuchtstab, um in dem für die Projektion abgedunkelten Raum nach Bedarf auch den Text mitverfolgen zu können. Viel Applaus in der voll besetzten Kirche für ein höchst engagiertes Unterfangen, das vom Gestaltungswillen jedes der teilhabenden Mitglieder getragen ist. Mögen die Götter Gordon Safari und der Musikergemeinschaft Salzburgs gewogen sein, der Zyklus BachWerkVokal ist eine überaus anregende Bereicherung.