Was die Bratsche alles erzählt
CAMERATA / YURI BASHMET
20/04/15 So politisch engagiert der ungebetene Auftritt eines Pro-Ukraine-Aktionisten mit seinem handgeschriebenen Plakat am Ende des Konzerts auch war. Man wird dem wackeren Mann ins Stammbuch schreiben müssen: Ein Bratschist ist wahrscheinlich der denkbar ungeeignetste Adressat solcher Botschaften.
Von Reinhard Kriechbaum
Auch ein prominenter Musiker, vielleicht der derzeit Namhafteste überhaupt auf diesem Instrument, wird schwerlich Putin zur Räson bringen. Und damit wollen wir nicht der Kunst im politikfreien Raum das Wort reden. Yuri Bashmet, der am Freitag (18.4.) als Solist und Camerata-Leiter wirkte, hielt demonstrativ die Noten hoch. Für die ist er wirklich zuständig…
Es blieb der einzige Misston an diesem Abend, der allerlei ziemlich Originelles bereit hielt. Da war gleich zu Beginn Haydns Symphonie mit dem Hennen-Gegacker. Sage keiner, dass es historischer Instrumente und Spielweisen bedarf, um die rhetorische Originalität dieser Musik heraus zu bringen. Yuri Bashmet wählt (wie auch für Werke aus anderen Stilbereichen) gerne eher ruhige Tempi, umso genauer feilt er an der Artikulation, bereitet er die Pointen vor. An solchen fehlt es gerade in Haydns Symphonie „La Poule“ nicht, einem Musterwerk für den musikalischen Sturm und Drang einerseits und für des Komponisten Experimentierlust andrerseits.
Von Paganini gibt es eine Vielzahl von Quartetten für Gitarre und Streichtrio. Jenes mit Nummer 15 hält für die Bratsche besonders reiche Aufgaben bereit, und drum hat Yuri Bashmet es zu einem Concertino umgearbeitet. Da steht er trotzdem nicht als Solist der Streichergruppe vor, sondern er setzt sich kollegial in deren Mitte und schaut durch die dicken Brillen die Kollegenschaft aufmunternd, gelegentlich fast ein bisserl neugierig an. Ein kammermusikalisches Geben und Nehmen. So, wie Yuri Bashmet dieses Stück spielt und spielen lässt, wird deutlich, dass Paganini durch und durch ein Kind der Romantik war: viele Temporückungen, individuelle Stimmungsumschwünge. Da hört man gerne zu.
Auch Max Bruchs „Kol Nidrei“, von Bashmet aus Violoncello- in Bratschen-Lage gehoben, bekommt von ihm einen ausgeprägt dialogischen Tonfall. Das Adagio nach hebräischen Melodien kommt in jedem Musikgeschichtebuch vor – aber gar so oft kriegt man’s im Konzertsaal doch nicht zu hören. Im feinen Pasticcio-Programm des vierten Abonnementkonzerts der Camerata (das zweite war am Sonntag Vormittag, 19.4.) machte es sich gut vor Schuberts Fünfter Symphonie. Die war allerdings das schwächste Glied in der Kette. Detailreich ausgeformt, aber nicht wirklich überzeugend dramaturgisch durchgezeichnet: Nicht nur der langsame Satz hatte seine Längen.