Send in the clowns
ROCKHOUSE / TIGER LILLIES
26/02/15 Ein Matrose erzählt von seiner Prostituierten. In allen Einzelheiten wird die perverse Phantasie eines Mörders geschildert. Nichts ist mehr heilig und das Publikum lacht und tanzt mit. In diesem Fall kann es nur eines bedeuten: Die Tiger Lillies sind zu Gast! Kommen Sie, treten Sie näher! Lassen Sie sich entführen!
Von Sascha-Alexander Todtner
Tendenziell Angst erregende Clownkostüme, singende Sägen, geheimnisvolles Theremin, makaberer Humor und die unvergleichliche Falsettstimme von Martyn Jacques: Die Tiger Lillies sind ein Unikum der besonderen Art. Spätestens seit der „Freakshow“ beim Winterfest 2010 verging kein Jahr ohne einen Besuch der dreiköpfigen britischen Band. Und auch heuer entführten die Tiger Lillies das Salzburger Publikum aus dem Rockhouse in die zwielichtige Welt von Mord, Prostitution und Perversion, aber mit einer gehörigen Spur makabren Humors.
Zwei Stunden lang war es, als könnte man jedem Moment Mackie Messer begegnen, als würde man sich im Soho von Brecht befinden oder in den Berliner Kabaretts der Weimarer Republik. Keine andere Band schafft es, derartig humorvoll, ironisch und zugleich provokant, von Blasphemie, Sex und Drogen zu singen, wie die Tiger Lillies und keiner anderen hört man derartig gern zu!
Im ersten Set standen vor allem Lieder vom aktuellen Album „A Dream Turns Sour“, welches am 100. Jahrestag des Attentats von Sarajevo veröffentlich wurde, auf dem Programm. In ihrem 35. Album (!) widmen sich die schrägen Clowns der Vertonung von Gedichten, geschrieben auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs – und beweisen auch hier wieder wie bei Vertonungen von Büchners „Woyzeck“ oder H.Ch. Andersens „Das Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ ihr unglaubliches musikalisches Talent diesen Texten ihre Doppeldeutigkeit zu entlocken.
Eine bunte Mischung aus den 34 vorherigen Alben füllte dann das zweite Set. Die Tiger Lillies sind ein Gesamtkunstwerk und das beweisen sie am Mittwoch (25.2.) aufs Neue. Etwa, wenn Martyn Jacques über Mordphantasien an Babies oder älteren Damen singt, dabei mit weit aufgerissen Augen suchend durchs Publikum blickt und zugleich die Todesart an einer Barbie demonstriert, während Adrian Stout mit dem Bass in einer phallischen Pose das Theremin spielt. Oder wenn die Briten lautstark und orgastisch auf der Bühne die sexuellen Freuden einer Prostituierten musikalisch umsetzen, um das Lied abrupt mit dem Satz „Time's up!“ (Die Zeit it aus!) enden zu lassen und das Publikum in schallendes Lachen ausbricht.
Spätestens wenn die Tiger Lillies Maria mit dem Stiletto eines High Heels ermorden, singt das Publikum lautstark mit. Vier Zugaben spielten die Tiger Lillies an diesem Abend – Wünsche des Publikums, bevor das zweistündige Konzert im nicht anhaltenden Applaus verklingt. Und am Heimweg hört man noch so manchen Besucher die Melodien von „Living Hell“ oder anderen Liedern leise vor sich hinsummen oder pfeifen.
Ein Konzert der Tiger Lillies ist nie nur ein Konzert, es ist immer zugleich ein Kabarett, ein Spektakel, ein Straßentheater, welches den Punker genauso begeistert wie den Jazzliebhaber. Und es ist jedes Mal wieder ein Ereignis mit Suchtfaktor – da kann man nur hoffen, dass die Briten Salzburg nächstes Jahr wieder besuchen!