Religion und Krieg gaben und geben sich die Hände
SOLITÄR MOZARTEUM / HOFHAYMER GESELLSCHAFT
13/10/14 Überzeugende Textauswahl, eine zwingenden Musiksprache, eine akkurate Leistung des ausführenden Ensembles unter der Leitung von Kai Röhring: Jubel für Herbert Grassls „Trauerkantate 1914-1918“ am Sonntag (12.10.) im Solitär des Mozarteums.
Von Erhard Petzel
Es war eine Österreichische Erstaufführung, das Konzert eine Zusammenarbeit von Universität Mozarteum und dem Hofhaymer Ensemble Salzburg. Dem historischen Aufbau einer Kantate entsprechend, stimmt eine instrumentale Introduktion auf das Thema ein: Krieg. Es ist nicht einfach nur motivisches Material, das im Verlauf des Werkes zum Durchexerzieren bereit steht, vielmehr ist die Botschaft der Schlacht unüberhörbar: Geschützdonner und Sirenen aus der Ferne, fallende Bomben ohne Bombast, Naturlaute und Notfallaufnahmegeschrill vereinen sich mit Glissando-Strukturen an der Orchesterpeitsche zum Reigen eines gemessenen Totentanzes.
Bis zum nächsten reinen Instrumentalteil, einem Trauermarsch, wird das Marsch-Idiom an drei Texten völlig unterschiedlich erprobt. Da tönt zunächst mit „Thränen des Vaterlandes“ die formvollendete Klage um die Folgen des Krieges für Land und Leute vom genialen Pathetiker Gryphius. Über die einzeln abgeschlagenen Tränen erhebt sich der Klagechorus des Sextetts, inhaltlich eng den Strophen verpflichtet, wenn Türme einstürzen, bis der Verlust des Seelenheils a capella hinausgeschrien wird.
Mit Erich Mühsams Text „Der edle Kriegerstand“ liegt der Fokus auf dem geschundenen und entmenschten Soldaten als vergewaltigtes Objekt der Massenmenschabschlachtung. Die formelhaft gehetzte Sprache findet ihre Ausmalung im brutalen Marschtritt, angereichert mit expressiven Ausbrüchen und Trivialphrasen. Nur mehr fragmentierte Marschelemente in „Der sterbende Soldat“, worin Karl Kraus dem Befehlsverweigerer das moralische Wort leiht.
Was folgt nach all der musikalischen Aufregung? Trakls „Abendland“, rhythmisiert gesprochen zu den hallenden Donnerschlägen der Cassa. Unmittelbar darauf „Tristis est anima mea“ aus Gesualdos Responsorien I ohne Dirigat und zunächst befremdlich rau. Später ist klar, dass auch ein Agnus Dei mit einem Text Paul Verlaines kombiniert keine religiöse Betulichkeit erlaubt. Bernadette Furch als Hohepriesterin und das A-capella-Ensemble erheben sich im Joch mitleidloser Beckenwirbelbarrieren.
Zur Apokalypse steigern sich kriegstriefende Psalmtexte des Basses (Ulfried Staber) kombiniert mit dem Klage-Latein des Soprans (Aki Hashimoto), umrahmt durch die immer schrillere Bitte: „Verleih uns Frieden gnädiglich“ (Johanna von der Deken, Friedolin Obersteiner, Bernd Staber), die nach einem Kondukt der tiefen Streicher (Stadler Ensemble, Ensemble con-Takt) und klagende Tonwechselminiaturen der Bläser den letzten Aufschrei verursacht, bevor alles trostlos verlischt.
Das fulminante Ende einer wechselvollen, konzisen und ereignisreichen Kantate, die so überzeugend wie nahtlos an ihre Vorbilder anknüpfen kann im Sinne von heute, da Krieg und Religion in schrecklichster Weise wieder einmal zueinander gefunden haben.