Ein junger Sokolov?
HERBERT SCHUCH / SCHUBERT-JANACEK-ZYLKUS
10/10/14 Mehrere Edelsteine in Größe, Form und Farbe einander ähnlich, sind zusammen noch viel mehr wert, als die Summe der Einzelstücke. So ähnlich ist es mit Pretiosen der Klaviermusik, wenn Herbert Schuch sie präsentiert: Er fasst in seinem Schubert-Janacek-Zyklus berühmte Werke zu überwältigenden Klang-Geschmeiden.
Von Heidemarie Klabacher
Allein die Wiedergabe der „Vier Impromptus“ D 935 würde man in Erinnerung behalten als exemplarische Schubert-Interpretation: beängstigend expressive Ausbrüche verschmolzen mit Augenblicken überirdischer Klarheit zu einem zeitlosen Bild des Lebens. Herbert Schuchs Schubert ist weder besonders „wienerisch“, noch besonders melancholisch. Schon gar nicht ist er larmoyant. Viel mehr ist es ein klarer, ja radikal moderner Schubert: scharf ausgeleuchtet durch die atemberaubende Präzision des Pianisten in Anschlag und Phrasierung und den Facettenreichtum in der Klanggebung.
Herbert Schuch hat nun aber zwischen die vier Impromptus von Franz Schubert zwei Nummern aus Leos Janaceks Zyklus „Auf verwachsenem Pfade“ hineingeschwindelt. So folgte auf den überirdisch zart verklingenden Impromptus Nr. 1 c-Moll von Schubert die Nr. 1 Es-Dur aus der zweiten Serie von Janaceks „Po zarostlem chodnicku“: zwei Werke, zwei Zeiten – und doch eine einzige Stimmung.
Auf die wilde Verzweiflung im Mittelteil des Impromptus Nr. 2 Es-Dur und sein radikal expressives Finale musste beinahe zwingend etwas „Moderneres“ folgen: eben Janaceks Nr. 2 Ges-Dur aus „Po zarostlem chodnicku“. Das ätherisch schwebend beginnende Stück mit seinem markanten Hornquinten-Motiv schien - in der Lesart von Herbert Schuch und in diesem Kontext natürlich - eine direkte Verbindung zwischen dem Böhmen und dem Wiener herzustellen. Verdichtet, und zum Atemanhalten intensiviert, wurde diese Beziehung durch den nahtlosen Übergang zum Impromptus Nr. 3 in der gleichen Tonart, ebenfalls in Ges-Dur: „Alles was da reizend ist“ wird in dieser Miniatur immer wieder bedroht vom elementaren Grollen präzise ausgeführte Triller.
Nicht weniger aufregend gestaltete Herbert Schuch den zweiten Teil des Abends mit Janaceks vier Stücken aus 1912 „V mlhách“ (Im Nebel) und Schuberts Fantasie C-Dur D 760. Triumphierend, fast fiebrig ekstatisch gestaltete Schuch den Einstieg in die „Wandererfantasie“, ließ Erinnerungen an Momente heiterer Gelassenheit vorüber- aber auch schon erste dramatische Schatten aufziehen. Der zweite triumphierende Aufschwung schien in dieser expressiven Lesart direkt in einer schweren Krise zu gipfeln: Wenn das ein „Wienerischer“ Schubert war, dann einer aus der Berggasse 19. Im Adagio taucht das Lied-Zitat auf, das dem Wer seinen Namen gab. Hier ließ Herbert Schuch erneut staunen, viele Klangfarben und Facetten der Weichheit und der Härte im Anschlag ihm zu Gebote stehen. Und welch schier unerschöpflichen Kraft- und Intensitätsreserven er dem Instrument – keineswegs dem größten Steinway – immer noch abzugewinnen weiß.
Mit Tendenz zur Selbstvernichtung ließ Schuch das verbindende Motiv im Presto sich in tiefste Felsengründe hinabstürzen oder bockig übermütig am sonnenüberfluteten Dreimäderlhaus vorüberwandern. Geradezu martialisch kamen die einleitenden Oktavschritte zum Allegro daher, mit Verve einmal mehr davon zeugend, wie modern in seiner Zerrissenheit der Schubert Franzl gewesen sein muss.
Ein überwältigender Abend.
Man war dem Künstler diesmal für die so ganz anderen Zugaben richtig dankbar, halfen sie doch, wieder Fuß zu fassen in der Gegenwart: Frederic Anthony Rzewskis „Winnsboro Cotton Mill Blues“ erzählt vom Dröhnen der Maschinen in den Baumwollspinnereien Soth Carolinas und vom Gesang der Sklaven, die sie bedienen: eine gelungene programm-musikalische Crescendo-Studie mit Blues und Spiritual-Einsprengseln.