Was ärger als der Tod, grimmer denn die Pest
TRAUERKANTATE / HERBERT GRASSL / ÖSTERREICHISCHE ERSTAUFFÜHRUNG
10/10/14 „Der Krieg ist wahnsinnig, sein Entwicklungsplan ist die Zerstörung: der Wille, sich zu entwickeln durch die Zerstörung. Habgier, Intoleranz, Machtstreben - das sind Motive, welche die Kriegsentscheidung vorantreiben, und diese Motive werden häufig durch eine Ideologie gerechtfertigt.“ Das sagte Papst Franziskus jüngst im friaulischen Fogliano bei einem Gedenken für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs.
Von Heidemarie Klabacher
Am 28. Juni 1914 ist in Sarajewo das Thronfolgerpaar erschossen, am 28. Juli in Ischl die Kriegserklärung an Serbien unterzeichnet worden. „Allzu viel hat sich seit diesem Tag verändert, mit äußerst dramatischen Folgen, besonders auch für unser Land mit Nachwirkungen bis in die heutige Zeit. Zeugen, die den Krieg überlebten haben wir noch gekannt, die Namen der gefallenen Verwandten finden wir noch auf den Friedhöfen.“ Das sagt der Salzburger Komponist Herbert Grassl.
Seine „Trauerkantate 1914 – 1918“ wird am Samstag (11.10.) in Brixen uraufgeführt. Tags darauf, am Sonntag (12.10.) folgt im Solitär der Universität Mozarteum die Österreichische Erstaufführung. Die „Trauerkantate 1914 – 1918“ basiert auf Gedichten von Andreas Gryphius, Paul Verlaine, Erich Mühsam, Karl Kraus, Georg Trakl und auf Auszügen aus den „Psalmen Davids“.
Wie hätte sich unsere Welt entwickelt, wenn nicht Überheblichkeit, diplomatische Fehleinschätzung, Glaube an die Überlegenheit von Waffen, Leichtsinn und vor allem ausgeprägter Nationalismus zu diesem Desaster geführt hätten? Wie konnten Millionen von Menschen, die allermeisten christlichen Glaubens, sich mit Begeisterung in einen solchen Wahnsinn treiben lassen? Wieso sind zahlreiche Intellektuelle, Wissenschaftler und Künstler auf die Kriegspropaganda hereingefallen? Fragen wie diese stellten und stellen sich im Gedenkjahr 1914 Kulturschaffende aller Sparten und Wissenschaftler aller Fakultäten.
Herbert Grassl stellt diese Fragen – und sucht nach den Antworten – in Musik. Auch ihn beschäftigen neben der Vergangenheit die aktuellen politischen Entwicklungen, Konflikte und Kriege der Gegenwart – mit dem Bild junger Menschen im Kopf, die sich freiwillig in den Kriegsdienst verbrecherischer Organisationen stellen. Das letzte Stück der „Trauerkantate“, das „De profundis“, ist den im Zuge des Gaza Feldzuges getöteten Kindern gewidmet.
Der Barockdichter Andreas Gryphius (1616-1664) thematisiert immer wieder den Dreißigjährigen Krieg, die elementare Katastrophe jener fernen Tage. Zu seinen berühmtesten Gedichten gehört „Thränen des Vaterlandes“. Die Schlussverse dieses Sonetts lauten „Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod. Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot, das auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.“ Damit sei, so Herbert Grassl, „das Ausmaß der allgemeinen Hemmungslosigkeit und Verrohung der Menschen, das durch den Krieg entsteht und das heute in manchen Teilen der Welt wieder zu grausiger Realität wird, eindrucksvoll beschrieben“.
Karl Kraus, dessen „Letzte Tage der Menschheit“ heuer bei den Festspielen auf dem Programm standen, war einer der wenigen, die sich nicht in Kriegsbegeisterung treiben ließen. Trotzig ruft „Der sterbende Soldat“: „Ihr zwingt mich nicht, ihr zwingt mich nicht! Seht, wie der Tod die Fessel bricht! So stellt den Tod vors Standgericht! Ich sterb’, doch für den Kaiser nicht.“