Sag: Auf beiden Füßen.
HERBSTTÖNE / LIEDERABEND HOLZMAIR
15/11/11 München, Mühlheim, Köln standen jüngst auf dem Reiseplan. Auch in London, Oxford oder Dublin konnte man Wolfgang Holzmair, Liedprofessor am Mozarteum, diesen Herbst hören. Dank der Herbsttöne war der begnadete Liedgestalter auch in Salzburg zu erleben, mit einem Reigen aus Wunderhorn-Liedern von 22 Komponisten aus 150 Jahren.
Von Heidemarie Klabacher
„Zu Straßburg auf der Schanz, da ging mein Trauern an": In der Vertonung von Gustav Mahler ist es das wehmütigste seiner „Soldatenlieder“. Wolfgang Holzmair sang, begleitet von Therese Lindquist, eine Vertonung dieses Texts von Robert Franz (1815-1892), einem heute vergessenen Komponisten, der über 350 Kunstlieder geschrieben hat und im 19. Jahrhundert als „Liedmeister“ gehandelt wurde. Seine Fassung ist ein schlichtes Volkslied mit vertrautem Marsch-Rhythmus und hochromantischer Schluss-Kantilene über der Zeile „Das Alphorn hat mir solches angetan, das klag ich an“.
Kürzest-Infos über 22 Komponisten von Brahms bis Zemlinsky bot in zehn Minuten brillanter Einführung Gottfried Franz Kasparek. 28 Lieder auf Texte aus „Des Knaben Wunderhorn“ standen auf dem Programm, von denen, Zugabe inklusive, nur drei Vertonungen von Gustav Mahler waren. Auch so manchen Wunderhorn-Text hörte man in dieser Herbst-Lese zum ersten Mal: „Fuge“ von Christian Sinding, von dem man sonst nur das „Frühlingsrauschen“ kennt, erzählt „im alten Stil“, wie der Wein beim Komponieren helfen kann: „Und alle Jahr ein Fuder Wein, das könnten gute Fugen sein“.
Gar nicht lustig ist dagegen das „Weinschröterlied“, das Theodor Streicher (1874-1940), Spross einer Wiener Klavierbauer-Dynastie, geschrieben hat. Auch das ist eines jener Soldatenlieder, in denen es unter Trommelschlag zum Galgen geht. Wolfgang Holzmair versteht es, diese Geschichten mit erbarmungsloser Wortdeutlichkeit zu erzählen. Die unter der volkstümlichen Oberfläche erschreckend grausamen Soldatenlieder erinnern in der Lesart des begnadeten Textvermittlers an die anschauliche Intensität der Kriegsvisionen eines Goya. Dazu gehört auch „Das hungernde Kind“, das in der Vertonung von Franz Schreker archaischer und daher fast noch erschütternder ist, als in der bekannten Vertonung von Gustav Mahler. Holzmair tat mit seiner ebenso intensiven wie unprätentiös geradlinigen Wiedergabe ein Übriges, das hungernde Kind aus vergang’ner Zeit in die Gegenwart zu holen.
Aus den heiteren Liedern - etwa „Knabe und Veilchen“ in der Vertonung von Eugen d’Albert - scheint Wolfgang Holzmair zarte Aquarelle zu machen, aus den ironischen - etwa „Für funfzehn Pfennige“ von Richard Strauss - boshafte Karikaturen. Während „Anderes Mailied“ - vertont von Felix Mendessohn Bartholdy - vom Kampf der Geschlechter erzählt und in der Interpretation von Wolfgang Holzmair klingt, wie vom „Frauenhasser“ Strindberg persönlich gedichtet: „Sie hat ein licht goldfarbnes Haar, und was sie red’t das ist nicht war. Hüt du dich!“
Neben Wunderhorn-Vertonungen beinahe unbekannter und vergessener Komponisten standen also auch Werke namhaftester Komponisten auf dem Programm. Wobei Arnold Schoenberg nicht unbedingt der erste ist, der einem als „Wunderhorn“-Komponist einfällt: „Wie Georg von Frundsberg von sich selber sang“ ist die hochdramatische Anklage eines unbedankten loyalen Kämpfers für seinen Herrn, eine Art Hymne, die sich zu expressiver Klage steigert. Carl Loewes „Herr Oluf“ - das ist der, der Erlkönigs Tochter abblitzen lässt - hört man dagegen nicht so selten, aber selten so anschaulich und spannend gestaltet, wie von Wolfgang Holzmair.
Zu diesem beispielhaften Umgang mit dem Text kommen technische Brillanz in der bruchlosen Stimmführung über alle Lagen (selten so tiefe Töne von Holzmair gehört). Expressive Wortdeutlichkeit, die einen Konsonanten auch einmal zur Stichwaffe macht. Und - auf einen schier unglaublich langen Atem - weiche und reich timbrierte Kantilene. Wie etwa in den wehmütigen „Abschiedszeichen“ von Armin Knab (1881-1951), in denen Wolfgang Holzmair mit ebenso samtiger wie strahlender Höhe begeisterte. Fein perlend begleitet von Therese Lindquist, einer hervorragenden Mitgestalterin am Klavier im Expressiven wie im Lyrischen.
Dieses kam vor allem in den „Kinderliedern“ zu tragen: in „Christkindleins Wiegenlied“ von Engelbert Humperdinck, im schlichten Gebet „Zum Einschlafen“ von Karl Weigl (1881-1949), aber auch in Erich Zeisls (1905-1959) heiterem Lied „Im Frühling, wenn die Maienglöckchen läuten“, das Wolfgang Holzmair in größten Kontrast setzte zu der expressiven geradezu unheimlichen Inschrift „Auf dem Grabe eines Kindes“.
Wie schön, wenn man dieses tönende Kompendium dereinst auf CD nachhören könnte.