Keines Menschen oder Gottes Schatten
BIENNALE / SCHWARZ AUF WEISS
04/03/11 Die einen werfen, bei hoher Trefferquote, Tennisbälle gegen das Donnerblech. Die anderen spielen Federball mit mehr Lust als Geschick. Dampf steigt aus dem Teekessel. Eine rollende Lampe unter den schwarzen Bänken wirft unruhige Schatten. Posaunendämpfer werden ebenfalls geworfen, in einen Blechkübel eingesammelt und in der ersten Bankreihe an der Bühnenrampe feinsäuberlich aufgestellt. Platzhalter wofür?
Von Heidemarie Klabacher
Es ist ein eigenwilliges Szenario am Rande irgendeines Abgrundes. Seltsame Rituale scheinen den Überlebenden irgendeiner Katastrophe Halt zu geben. Es geht befremdlich, dennoch irgendwie heiter zu.
Seit der Uraufführung 1996 in Frankfurt am Main tourt das „Ensemble Modern“ mit dem Musiktheater „Schwarz auf Weiß“ durch die Zeitgenössische Musik-Szene. In der Intimität des Landestheaters kommen sie einem sehr nahe, die Musikerinnen und Musiker des „Ensemble Modern“ in ihrer altmodischen Kleidung, mit ihren Tennis- und Federbällen, Posaunendämpfern und Schatten. Vor allem mit ihren Schatten, die die Menschen zu verdrängen scheinen. Weiße Bahnen im Hintergrund sind die Projektionsfläche für desolate Räume und Gebäude, vor allem aber Spielfläche für die ins Bedrohliche wachsenden Schatten von Menschen und Instrumenten.
Mit größter Behutsamkeit packt eine Musikerin ein Koto aus, stimmt die Saiten, setzt die Bünde, spielt einige Töne. Dann streift ein Metallstift vom Schnürboden heruntergelassen sanft über die Saiten. Ebenso akribisch richtet der Flötist einen Campingkocher her, setzt einen Teekessel auf und tritt mit dem Wasserdampf in einen virtuosen Dialog: Dieses Duett des Flötisten mit dem dampfenden Teekessel ganz vorne an der Rampe hat etwas handfest Tröstendes in der unheimlichen, wenn auch nur latent bedrohlichen Atmosphäre.
„Das Jahr war ein Jahr des Schreckens gewesen“, heißt es in der Parabel „Schatten“ von Edgar Allan Poe, einem der Texte, die dem Stück zugrunde liegen. Das Portal, „eine hohe erzerne Pforte“, von dem die Rede ist, steht auch auf der Bühne. Elegant wird es umstürzen. Genau zwischen die schwarzen Bänke, auf denen die Überlebenden irgendeiner Katastrophe ihre Rituale zelebrieren. Heiner Goebels hat mit Jean Kalman und Norbert Ommer (Licht- und Klangregie) ein poetisch-schwebendes Ganzes gewebt.
„Schwarz auf Weiß“ ist seinerzeit vom Komponisten und den Mitgliedern des „Ensemble Modern“ gemeinsam entwickelt worden. Trotz der gut achtzig Aufführungen seit der Urauführung 1996 in Frankfurt wirkt die Produktion lustvoll improvisiert, besticht mit federleichter Selbstironie. Nichts ist zu spüren vom heiligen Ernst, der zeitgenössische Zelebrationen gern begleitet.
Die Streicher greifen zu Tuben und Posaunen und tun sich mit den (gelernten) Bläsern zu einer wilden Musikbanda zusammen. Clavicord und Zymbal, E-Gitarre und Kontrabass spielen gleichberechtigte Rollen neben Licht und Schatten, Wort und Ton, Bewegung und Aktion.
Der Text, auf Englisch, Französisch und Deutsch, wird teils von den Ausführenden gelesen, kommt teils vom Band: Dann ist das eine Aufnahme mit Heiner Müller, der während der Probemarbeit zu „Schwarz auf Weiß“ verstorben ist. Die Musikerinnen und Musiker sitzen oft mit dem Rücken zum Publikum, sie scheinen für eine imaginäre Zuhörerschaft ihm Bühnenhintergrund zu spielen. Dort wo der Schatten auftauchen wird, der Schatten „vieler Tausender dahingegangener Freunde“.
Die beinahe heitere Hyperaktivität des Protagonisten (das „Ensemble Modern“ als solches ist der Hauptdarsteller), die oft lauthals plätschernde Musik, die dann plötzlich wieder in Momente feinster Poesie mündet - all das steht in reizvollem Kontrast zur bedrohlichen Grundstimmung, zu den apokalyptischen Sprachbildern. - Ein überaus lustvoller Biennale-Auftakt.