Wie Gulda sich das vielleicht träumen ließ
JAZZHERBST / BENJAMIN SCHMID, SABINA HANK
05/11/10 Was ist wichtiger, das Wie oder das Was? Mit seiner Leidenschaft für den Jazz könnte Benjamin Schmid vermutlich das Hinterste aus der Schublade kramen, und es würde glutvolle Musik daraus. Aber keine Angst: Die Violinkonzerte von Gulda und Hank liegen nicht ganz hinten …
Von Reinhard Kriechbaum
Was ist wichtiger, das Wie oder das Was? Mit seiner Leidenschaft für den Jazz könnte Benjamin Schmid vermutlich das Hinterste aus der Schublade kramen, und es würde glutvolle Musik daraus. Aber keine Angst: Die Violinkonzerte von Gulda und Hank liegen nicht ganz hinten …
Friedrich Gulda ist in den siebziger Jahren, als er sein Violinkonzert mit dem viel sagenden Titel „Wings“ aus der Taufe gehoben hat (in Salzburg übrigens, 1974) viel gescholten worden. Damals hatte ein seriöser, klassischer Musiker eben seriell zu komponieren, oder besser gar nicht. Die Wahrnehmung hat sich entkrampft, Guldas Unbehagen am Klassik-Betrieb teilen mittlerweile selbst Durchschnitts-Hörer, und so ist man eigentlich dankbar für ein Wer wie dieses: Das schwingt sich vom Ernst kirchentonaler Herbheit (die lydische Tonart steckt angeblich dahinter) auf zu tänzerisch tändelnden Exotik-Folklorismen. Bei aller jazziger Verbrämung ist es, nach dreieinhalb Jahrzehnten wieder mal genauer in Ohrenschein genommen, für den Solisten ein recht „klassisches“ Werk, für den Solisten dankbar, weil er dankbare violinistische Effekte auskostenden kann. Benjamin Sc hmid wieder mal in Hochform an dem Abend, die Camerata Salzburg in diesem Stück eher als orchestraler Stichwortbringer.
Um so mehr hatte die Camerata, die am Donnerstag (4.11.) in der Großen Aula ihr Jazzherbst-Debut gab, in Sabina Hanks Violinkonzert zu tun. Die „klaren Bilder“ schätzt Benjamin Schmid an dem Werk der Klavier-Kollegin, „fassbar, ohne je billig zu sein“. Es ist, als ob Sabina Hank ihre Musiker blättern lässt in Wörterbüchern verschiedener Sprachen. Wie man eine Episode im Elf-Achteltakt schreiben kann, so dass die Zuhörer doch am liebsten dazu tanzen mögen! Aber diese rhythmisch so pointierte wie elastische Orchestereinleitung ist eben gar nicht sosehr Leitmotiv. Der Einsatz der Solovioline klingt, als ob ein DJ mit festem Griff den Plattenteller abbremst, und dann darf sich die Solovioline auch mit ganz „klassischen“ Formulierungen zu Wort melden. Das swingt fein und geht im geigerischen Effekt eigentlich doch kaum übers Sibelius-Violinkonzert hinaus, mithin: Es fließt den Hörern angenehm in die Ohren, man wird verwöhnt von Wirkungsvollem – und der musikantisch-groovende Showdown hat’s in sich!
Gesteckt voll war die Große Aula an diesem Salzburger Abend, voller junger Leute auch. Benjamin Schmid und Sabina Hank haben eben ihre Fangemeinden (und man ist bei beiden Gruppen gerne dabei). Nach der Pause dann Sabina Hank am Klavier (und an der Stimme), im Dialog mit Benjamin Schmid, zum Quartett ergänzt durch Alexander Meik (Bass) und Christian Lettner (Schlagzeug): In ihrem exklusiv vorbereiteten Gulda-Projekt geht es darum, die jeweils eigenen Blickwinkel einzubringen in ein kompositorisches Werk, das vom Jazz berührt ist, aber doch so „klassisch“ bleibt wie nur. Wahrscheinlich gibt es gar keine geeignetere Musik für kreativen Crossover als jene von Friedrich Gulda (vor zehn Jahren ist er gestorben, heuer wäre er achtzig geworden). Ohne dem Vorbild Gewalt anzutun, konnten die vier Musiker – die beiden Herren in der zweiten Reihe seien dezidiert eingeschlossen – ihrer Fantasie, ihrem Klangsinn freien Lauf lassen. Das war Leben, wie Gulda es sich vermutlich so innig gewünscht hat.