Keine Spur von altem Eisen
JAZZHERBST / JESSYE NORMAN
08/11/10 Wenn Jessye Norman Liederabende gab, gehörte als Draufgabe ein Spiritual immer dazu. In letzter Zeit hat die Mezzosopranistin auch zum Jazz gefunden, und auch den singt sie gerne ohne Mikrophon. - „Roots-My Life, My Song“ zum Jazzherbst-Abschluss im Großen Festspielhaus.
Von Per Peterson
Die amerikanische Mezzosopranistin Jessye Norman räumte am letzten Abend des 15. Salzburger Jazzherbstes (7.11.) gleich mit zwei Vorurteilen auf: Nämlich dass die Kluft zwischen Klassik und Jazz unüberbrückbar sei und dass die gute alte II-V-I Verbindung ausgedient habe.
Allerdings: Eine Brücke zu bauen funktioniert nicht ohne solide Pfeiler und den ausgeprägten Wunsch nach Begehbarkeit. Beides machte den Konzertabend zu einem großartigen Erlebnis, das wieder einmal zeigte, dass Respekt vor der Komposition weit vor imposanter Scat-Technik rangiert.
Vielmehr noch nahm Jessye Norman das Wagnis auf sich, Top-Ten Jazz-Standards zu interpretieren, von denen weiß Gott ungezählte musikalische Vergewaltigungen existieren: Normans Interpretationen aber bauen auf die Liebe zum gesanglichen Detail. Mikrofaserisch und ohne viel Brimborium spann Norman ihre Mezzo-Stimme über bereits erwähnte unverhohlen einfache Jazzharmonien. Selbst Thelonius Monks texloser „Blue Monk“ entkam dank des achtsamen Umgangs zwischen Glissando- Kontrabass und Stimme sowie unkeuschem „Be-bop-a lula“ zerfallenen Klostermauern.
Die fünfköpfige Band bestehend aus Trompete, Sax, Piano, Schlagzeug und Kontrabass spielte frisch und authentisch, natürlich und kreativ. Und unterstützte dabei Jessye Normans vielfältige dynamische Ausflüge (die Sängerin verzichtete meist auf das Mikrophon) wie intuitiv, ohne dass dabei Gedanken an besonders komplizierte Arrangements aufkommen mochten. Jazz, wie ihn Monk oder Charles Mingus gespielt hätten: Da ein kurzes Duell zwischen Bass und Schlagzeug, hier ein ausgedehntes Piano-Tacet, um dem luftigeren Trio-Sound zu huldigen.
Das Programm mit dem Titel „Roots-My Life, My Song“ bot neben der Verneigung vor Sängerinnen wie Ella Fitzgerald und Lena Horne Stücke von Duke Ellington und Thelonius Monk.
Tänzelnd und strahlend zauberte Jessye Norman einen Hit nach dem anderen aus dem Hut: Ellingtons „Don´t get around much anymore“, Nina Simones „My Baby just cares for me“, selbst das instrumental vorgetragene „Take the A-Train“ klang trotz des auf Dixie -Schiene fahrenden Arrangements frisch wie der Morgentau.
Einen weiteren Schwerpunkt widmete Jessye Norman dem Gospel. Die bedrohliche Mimik bei „He had a long chain“, begleitet von Pianis Mark Markham, der dazu seine Faust rhythmisch auf den geschlossenen Flügel donnern ließ, nötigte einen fast dazu, sich im letzen Winkel des großen Festspielhauses zu verkriechen.
Den Abschluss machte der Gospel- Gassenhauer „Oh when the Saints go marching in“. Sogar dieser alte Hadern strahlte eine übermäßige Zuversicht aus, dass angejahrte Stücke - wenn intensiv interpretiert - nicht unbedingt zum alten Eisen gehören müssen.