Göttliches: Spiel nicht Gehabe
SALZBURGER JAZZHERBST / BRAD MEHLDAU
02/11/10 Mit Brad Mehldau betrat am Freitag Abend ein als schwierig beleumundeter Künstler die Bühne des Großen Saals des Mozarteum. Vor allem seine Interpretationen von Pop-Stücken der jüngeren Jahrzehnte sorgten für Begeisterung.
Von Oliver Baumann
„The Divas“ taufte Kazzherbst-Intendant Johannes Kunz die fünfzehnte Ausgabe des Festivals und versucht in dessen Verlauf mit facettenreichem Programm dem Motto treu zu werden, obgleich freilich der Begriff Diva in den letzten Jahren durch inflationäre Verwendung in zahlreichen zwanghaft modernen Kulturmedien einerseits und durch die tatsächliche Deflation divenhafter Größen im Jazz andrerseits an Bedeutung verloren hat.
An den ersten beiden Abenden waren zwar Männer im Hauptabendprogramm (am Freitag, 29.10., zum Auftakt Terence Blanchard mit seinem Quintett, am Samstag, 30.10., Brad Mehldau). Aber Mehldau, der schon öfter Gast in Salzburg war, weist eine durchaus divenhafte Biographie mit enormen Arbeitseifer und kleinen Schattenseiten auf. Doch von all dem sollte dieser Abend unberührt bleiben. Der New Yorker Pianist zeigte sich vielmehr beeindruckt ob des prächtigen Ambientes und bemühte sich, den Abend charmant auf Deutsch zu moderieren. Dann versank er binnen weniger Momente in seine Musik und das gut besetzte Auditorium tat es ihm gleich, ließ sich auf Mehldaus musikalische Traumlandschaften ein.
Dabei greift der Vierzigjährige auf verschiedenste musikalische Quellen zurück. Neben zahlreichen Eigenkompositionen, wie die beiden Eröffnungsstücke aus seiner erst wenige Tage alten Doppel-CD „Highway Rider“, sorgen vor allem Mehldaus Interpretationen von Pop-Stücken der jüngeren Jahrzehnte für Begeisterung. Der bekennende Romantiker Mehldau führt den Zuhörer zunächst auf sicheren Pfaden in das Stück ein, um sich dann schrittweise zu entfernen. Diese Entfernung bringt zugleich große musikalische Dichte mit sich, die sich in lyrischen Verschnörkelungen gefällt. Mit betörender Fertigkeit - bisweilen fühlt man sich genötigt nachzusehen, ob denn tatsächlich nur zwei Hände im Spiel sind - vereinigt Mehldau Virtuosität und rhythmische Schärfe.
So kann man seiner Interpretation von Nirvanas Gassenhauer „Smells Like Teen Spirit“ (!) im 7/8-Takt (!) das rasselnde Schlagzeug und den satten Bassgroove genauso entnehmen, wie die an sich schnöde Titelmelodie. Das bereits zum modernen Standard mutierte Massive Attack-Stück „Teardrop“ wird in ähnliche Bauart zur post-modernen „Moldau“. Wie Smetana verfolgt Mehldau die Träne auf ihrem Weg durch Bäche und Flüsse, über Wasserfälle und Stromschnellen hin zur Unendlichkeit des Ozeans, schattiert mit wagemutigen Voicings den wechselvollen Pfad. Und doch lässt sich am Ende die kleine Träne(nmelodie) aus der Weite des Meeres wieder aufspüren.
Diesen deftig groovenden Stücken setzt Mehldau mit einem (noch) unbetitelten Walzer und einem Balladen-Medley Betuliches entgegen. Sein Hang zum Romantischen klingt noch deutlicher, wenn der Standard „I’m Old-Fashioned“ in das zauberhafte „Martha“ (aus Tom Waits’ Debütalbum „Closing Time“) gleitet.
Die von begeisternden Improvisationen getragene Interpretation von „My Favourite Things“ – aus dem amerikanischen Salzburg-Mini-Epos „Sound Of Music“ – setzt dem Abend einen gelungen Schlusspunkt und bereichert die Geschichte des Jazzherbsts um einen weiteren Höhepunkt!