„Die Eins ist dort, wo ich sie spiele“
JAZZHERBST / RON CARTER
03/11/10 Also nochmal von vorne. „Ron Carter´s Foursight“ steht im Programm-Heft. Auf der Jazzherbst-Homepage war doch ursprünglich von „Nonet“ die Rede? Ich zeige auf das Schild „Foursight“ und frage, ob denn nicht das online angekündigte neunköpfige Ensemble auftreten würde. „Dochdoch“ wird mir von amtlicher Seite versichert, dieses Schild sei ein Fehler. Oben ankommen dann die Überraschung: Foursight.
Von Per Peterson
An solchen Kleinlichkeiten sollte dann aber der Genuss des Abends nicht leiden; schließlich war die Größe der Besetzung beinahe nebensächlich, besonders deshalb, weil Bass-Legende Ron Carter es als Bandleader wie kaum jemand sonst versteht, selbst ein Trio wie ein Orchester klingen zu lassen.
Ein Blick auf die noch leere Bühne: Ein wenig untypisch mutet dann die doppelte Rhythmus -Fraktion, Schlagzeug und Percussion doch an, übrig bleiben Piano und Bass. Was hier für eine typische Rollenverteilung eines in vier Viertel aufgeteilten Kollektivs fehlt, ist das meist für Koloraturen ausgelegte Soloinstrument - oder eine zweite harmonische Basis. Und genau diese beiden Rollen übernahm überraschend farbenreich „on percussion and cigar“ Rolando Morales-Matos. Wie ein übermütiges Kind, dass sich an Weihnachten nicht entscheiden kann, mit welchem Spielzeug es sich zuerst beschäftigen soll, verlieh der Puertoricaner ganzen Song - Abschnitten herrlich farbenfrohe Anstriche. Und nuckelte zwischendurch immer wieder an seiner kalten Havanna.
Anmerkungen über Ron Carters Sound und seine Spieltechnik füllen viele, mittlerweile schon vergilbte und zerlesene Seiten. Und seine Art, Jazzstandards zu begleiten ist tatsächlich phänomenal. Seine Walking-Lines muten an wie Wanderungen durch die Rocky Mountains, sind improvisierte Meisterwerke des interharmonischen Dialogs. Selbst ausgefuchste Piano-Soli wie an diesem Abend von der Kanadierin Renee Rosnes ergeben durch kreationistisch durchdachte Walking-Achtelnoten ein Ganzes. Die Bass-Linie wird bei Carter beinahe zum Haupt-Thema, die Begleitung zur zweiten Melodie. Und ein von Carter gespieltes tiefes „E“ besitzt für andere Instrumente die Sogkraft eines Schwarzen Lochs.
Auch solistisch demonstrierte Carter Gelassenheit und die Logik einer Mozart-Sonate; und was die Töne verschweigen wollten, verriet des Meisters Gesichtsausdruck beim Spiel.
Ron Carter genoss es offenbar, als Bandleader seine Lieblings-Standards interpretieren zu können.
Der Broadway Hit„My Funny Valentine, wurde - nomen est omen - nicht zuletzt durch synkopenreiches Arrangement zum fröhlichen Musical-Erlebnis.
Der insgesamt ruhige Abend zwischen Swing und Afro-Cuban endete mit der zweiten Zugabe „Caminando“ und Standing Ovations. Und mit Carter´s Selbstverständnis: „Die Eins ist dort, wo ich sie spiele.“