Wie viele da gesessen sind und sich getraut haben!
HINTERGRUND / CAMERATA / STREAM
25/02/21 „Abonnenten über Achtzig, die auf 30, 40 Jahre mit der Camerata zurückblicken, schreiben uns Briefe, erzählen uns, wie ihnen die Konzerte abgehen. Da merkt man erst die emotionelle Komponente der Beziehung, die man zu seinem Publikum aufgebaut hat“, erzählt Shane Woodborne. „Es ist ein sehr treues Publikum.“ Am Sonntag (28.2.) meldet sich die Camerata mit einem Streaming-Konzert.
Von Heidemarie Klabacher
„Es ist frustrierend. Das letzte Live-Erlebnis, unser letzter öffentlicher Auftritt war am 1. November zusammen mit Igor Levit in der Alten Oper in Frankfurt. Seither haben wir uns nur ohne Publikum getroffen. Es ist nicht das selbe, wenn man in einem leeren Saal sitzt. Das gegenseitige Pushen der Stimmung fehlt“, erzählt der Cellist, Komponist und Camerata-Geschäftsführer Shane Woodborne. Der Verdienstentfall hat die freiberuflich tätigen Musikerinnen und Musiker schwer getroffen, etwa vierzig Prozent seien nach wie vor abhängig von Härtefallfonds oder sonstigen Unterstützungen.
Bei all dem ein ganz besonderer Lichtblick: Das Publikum stehe „seiner Camerata“ treu zur Seite. Auch finanziell: Privatspenden von Einzelpersonen und Zuwendungen etwa des Lions Clubs oder der Rotarier zeugen von „großer Solidarität“, erzählt Shane Woodborne: „Da kann man sich nur ergriffen bedanken.“ Es sei bewegend zu erfahren, welch hohe Wertschätzung der Camerata entgegen gebracht wird. „Dass wir unserem Publikum fast noch näher gekommen sind, ist etwas, das ich mitnehmen werde aus dieser Zeit.“
Allen Umständen zum Trotz seien auch neue Abonnenten gewonnen worden. Die Zahl der Abonnenten für die Freitags- und Sonntagskonzerte im Großen Saal des Mozarteums liege „ziemlich stabil bei etwa 1100“, mit Beginn der laufenden Saison seien gut sechzig weitere dazugekommen. „Und sie alle haben seither noch keinen Ton von uns gehört.“
Dem wird nun abgeholfen, „wenigstens“ mit einem Streaming-Konzert: Am Sonntag (28.2.) zur üblichen Matinee-Zeit um 11 Uhr spielt die Camerata Salzburg unter der Leitung ihres Konzertmeisters Gregory Ahss Mozarts g-Moll Symphonie KV 550. Nur eben nicht aus dem Großen Saal, sondern via online Stream aus dem Wiener Konzerthaus: Dort hat die Camerata ja ebenfalls seit Jahren einen Zyklus. Drei der Salzburger Abo-Konzerte spielt das Orchester in Wien und erreicht, ebenfalls mit jeweils zwei Terminen, 1800 Gäste. „Mit vereinten Kräften haben die Camerata Salzburg und die Wiener Konzerthausgesellschaft dieses digitale Konzertprojekt initiiert, um trotz der anhaltenden Stille ein kraftvolles musikalisches Lebenszeichen für das Publikum zu schaffen“, sagt Shane Woodborne. Auch in das Streaming-Projekt seien Publikumsspenden geflossen.
Alle Spenden wiederum, die im Zuge der mit dem Stream verbundenen „pay as you wish“-Funktion generiert werden, kommen den Musikerinnen und Musikern zugute. Die Streamingplattform konzertZuhaus der Wiener Konzerthausgesellschaft habe sich innerhalb eines Jahres als digitale Konzertplattform etabliert.
Wie es weitergeht? „Wir sind sehr gefasst, aber der Frust wird schon spürbar, weil wir nicht wissen, wann wir in Österreich wieder spielen dürfen.“ Nächste Woche wird die Camerata Salzburg drei Konzerte beim Bilbao Festival geben: „Das Reisen ist eine eigene Wissenschaft geworden“, sagt der Camerata-Geschäftsführer. „Die Bestimmungen ändern sich fast täglich. Aus beruflichen Gründen dürfen wir dieser Tage problemlos nach Bilbao reisen. Aber wir können nur hoffen, dass es Ende nächster Woch noch genauso ist.“
Was die Saison in Salzburg angeht, „wissen nicht ob wir im April unsere Abo-Konzerte mit Janine Jansen veranstalten können“ (in der Großen Aula, wegen des Umbaus im Großen Saal des Mozarteums; Anm.). Wie das Publikum weiter mitmachen und weiter auf die Lage reagieren wird? „Letzten Juli, da haben wir alle noch nicht so viel vom Virus gewusst, waren wir erstaunt, wie viel Achtzigjährige mit ihrer Maske da gesessen sind und sich getraut haben“, sagt Shane Woodborne. Er würde es seinem Publikum durchaus zutrauen, „dass es sich einen negativen Test holt, um die Camerata wieder erleben zu dürfen“. Entscheidend werde sein, welche Art von Test erforderlich sein wird, falls die Möglichkeit zum Freitesten tatsächlich kommen sollte.
Er glaube schon, dass man durch die Pandemie „zu einem Schritt ins digitale Zeitalter gezwungen worden ist“. Streams würden nie an das Live-Erlebnis herankommen, dennoch habe er selber, so Woodborne, inzwischen „eine berufliche Neugier“ an online-Konzerten entwickelt: „Obwohl ich in Salzburg sitze, kann ich verfolgen, was etwa das Los Angeles Chamber Orchester so an Content produziert.“ Auf der Ebene von Zoom-Konferenzen werde man wohl ebenfalls einiges mit in die Zukunft nehmen, „einfach weil es praktisch ist.“ Und wer weiß: „Vielleicht entdeckt man auch ein digitales Publikum, dass nicht örtlich gebunden ist.“
Hier der Link zum Konzert-Stream am Sonntag (28.2.) 11 Uhr aus dem Wiener Konzerthaus - konzertzuhaus.at - das Konzert wird bis zum 28. März online abrufbar sein.
Bilder: Camerta Salzburg / Wiener Konzerthaus; Musikverlag Hayo
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