Leidenschaft im Quartett
STIFTUNG MOZARTEUM / ADELPHI QUARTETT
21/10/20 Anstelle des amerikanischen Viano String Quartet, welches nicht anreisen konnte, erhielt das 2017 in Salzburg gegründete Adelphi Quartett die Chance eines Konzerts im Wiener Saal der Stiftung Mozarteum. Mit verändertem Programm begeisterte das junge Ensemble das den Corona-Gefahren in erfreulicher Menge trotzende Publikum.
Von Gottfried Franz Kasparek
Man sitzt auf schachbrettartig aufgestellten Einzelsesseln und darf am Donnerstag (20.10.) während des Konzerts noch die Maske abnehmen. Ab Freitag wird man das nicht mehr dürfen. Aber wer weiß, wie lange man überhaupt in diesem Herbst und Winter noch dem Live-Musikgenuss frönen kann. Und wie lange noch die für Brillenträger wesentlich angenehmere Alternative Gesichtsvisier erlaubt bleibt... Fragen, die angesichts der musikalischen Leistung der vier jungen Musiker alsbald zurücktraten.
Der Belgier Maxime Michaluk an der ersten, die Spanierin Esther Agustí Matabosch an der zweiten Violine, der serbische Bratscher Marko Milenković und der auch sympathisch moderierende deutsche Cellist Nepomuk Braun haben einander beim Studium an der Universität Mozarteum kennen gelernt und sind als Adelphi Quartett international schon so gut unterwegs, wie es die schwere Zeit erlaubt. Im Jänner errangen sie den ersten Preis beim Streichquartettfest des Heidelberger Frühlings. Für ihr – natürlich pausenloses – Debütprogramm in Salzburg wählten sie herausfordernde Stücke.
Felix Mendelssohn Bartholdys Streichquartett a-Moll op. 13 ist das erstaunliche Meisterstück eines Siebzehn-Jährigen. Das Wunderkind an der Schwelle zum Erwachsenen hatte die späten Quartette Beethovens eingehend studiert, was man formal den vier kunstvoll gedrechselten Sätzen deutlich anmerkt. Da der junge Mann in die ein wenig ältere Betty Pistor sehr verliebt war, verwendete er das der Angebeteten gewidmete Lied Frage op. 9/1 als Hauptmotiv. „Ist es wahr“, fragt er die Liebste und dies setzt er ähnlich massiv ein wie Beethoven sein „Es muss sein“ im gleichfalls in a-Moll stehenden op. 132. Mendelssohns Stück ist jedoch allen Themenverwandtschaften zum Trotz höchst eigenständig in seiner romantisch-klassizistischen Mischung aus lyrischer Emphase und insistierender Leidenschaft.
Das Adelphi Quartett spielt das technisch tadellos, mit kontrollierter Emotion und manch überraschendem Blick in die Zukunft. Im eher nervösen als beschaulichen Intermezzo denkt man bei allen Unterschieden in der Textur und Spielweise gar an Alban Bergs Allegro misterioso aus der Lyrischen Suite, einer anderen großen Liebesmusik.
Auch hinter dem neunten Streichquartett Es-Dur op. 117 von Dmitri Schostakowitsch steckt eine Liebesgeschichte, diesfalls freilich eine zur Ehe gereifte Beziehung. Wesentlicher ist, wie aufregend sich der Komponist hier von der tiefen Tragik des achten Quartetts löst und zum scharfen Trotz, zur rasenden Parodie und gebändigten Melancholie zurückfindet. Die stalinistische Ära war 1964 endgültig vorbei, zarte Pflanzen der Freiheit durften in der Sowjetunion erblühen. Auch dies ist in klassische Form gegossene Gefühlsmusik. Die vier oft motorisch drängenden, doch von rauen Kontrasten durchzogenen, immer wieder zu größter Intensität verdichteten, attacca komponierten Sätze ergeben ein Panorama voll schwermütiger Poesie und heftig drängender Dramatik.
Das Adelphi Quartett ist hier ganz in seinem Element und malt klingende Seelenlandschaften mit großer berührender Energie. Grandios, wie die faszinierende Spannung im Finale durchgehalten wird und gleichsam in einer aufstampfenden Stretta endet. Aerosole hin und her, da sind Bravorufe nicht zu verhindern. Die akkurat pointierende Zugabe, das Scherzo aus Joseph Haydns op. 33/4, schickt einen hoffnungsvoll in die gegen neun Uhr abends fast schon schlafende Stadt.
Bilder: adelphiquartett.com
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