Hollerbeeren im Magentrakt
OENM / ATELIERKONZERTE / ABGESAGT!!!
12/02/20 mumifiziert . eingehüllt . verborgen . vertrocknet . ausgedörrt . lederne Erinnerungen . Sezieren . öffnen kaum quardratzentimetergroßer Stellen . Hollerbeeren im Magentrakt . Gewebeproben . unter dem Mikroskop explodiert der Magentrakt. - Unter dem Titel unablässige regularität findet der aktuelle Zyklus der drei Atelierkonzerte des oenm ab Freitag (13.3) im Künstlerhaus tatsächlich statt!
Von Heidemarie Klabacher
Die medizinischen und zugleich seltsam archaischen Worte von ausgedörrt bis Magentrakt bezeichnen die Sätze in Thomas Larches Stück Mumien für Violoncello und Klavier. Erst vor wenigen Tagen, am 4. März, erklang das Werk in der Amsterdamse Hogeschool voor de Kunsten, da spielten Hadewych van Gent Cello und Viktor Cizic Klavier. Nun stehen Mumien auf dem Programm der drei Atelierkonzerte des oenm ab Freitag (13.3) im Künstlerhaus. Und das Österreichische Ensemble für Neue Musik hat seine Programme schon publiziert, da war von Corona noch lang keine Rede. Es spielen Nora Skuta Klavier und Sebestyén Ludmány Violoncello.
„A heartfelt love of sound, of small form becomes perceptible. Mysterious landscapes emerge: full of manic concentration, obsession even in submerging into a note, a sound, a small figure, full of turns towards ethereally serene regions with very simple harmonic structures emerging like islands in the rough sea and opening a view onto the sky. Often, the titles already point to the mental landscapes that are turned into sound.“ Das schreibt auf der website des Musikverlags Schott der Musikwissenschaftler Reinhard Schulz über Mumien. Er verweist mit dem letzten Satz allfällige allzu banale aktuelle medizinische Assoziationen in einer Krisenzeit gleich einmal ins Abstrakte. Das gut 15minütige vom Verlag als „schwer“ eingestufte Werk feierte vor einer Woche übigens seinen 18 Geburtstag: Mumien wurde am 8. März 2002 in München uraufgeführt von Heinrich Schiff Violoncello und Till Fellner Klavier.
Ebenfalls auf dem Programm der drei Atelierkonzerte stehen die Sonate für Cello und Klavier N.1 von Alfred Schnittke (1934‒1998) sowie die Uraufführung von in between für Cello und Klavier von Marco Döttlinger (*1984). „Charakteristisch für Alfred Schnittkes erste Sonate für Cello und Klavier sind die zwei Ecksätze mit der Tempobezeichnung Largo, die durch einen rastlosen, rasenden Presto-Satz in der Mitte des Werks voneinander getrennt werden“, heißt es auf der website des oenm. Unabhängig von den Tempoangaben sei allen drei Sätzen eine „in sich kreisende motivische Arbeit gemein“, die von ihrer eigenen Regelhaftigkeit zu immer höherer Intensität bis zum Umschlagpunkt getrieben werde. Mit gänzlich anderen Mitteln verfolge dagegen Marco Döttlinger ein ähnliches Konzept: Seine Komposition in between sei von zyklisch rekursiven (auf bekannte Werte oder Regeln zurückgreifenden, Anm.) Verläufen getragen. „Sie entsagt jeder Zielsetzung außer derjenigen einer ständigen Veränderung aus sich selbst heraus, dem ständigen Übergang.“
Der Auftritt des oenm bei den Aspekten fällt mit der Absage des gesamten Festivals ins Wasser. Weiter geht es, so Corona will, ab 24. April mit weiteren drei Atelierkonzerten mit Peter Sigl Violoncello und Alexander Gabryś Kontrabass und „Knüllern“ von Steve Reich bis Iannis Xenakis: „Im 21. Jahrhundert hat sich auch das breitere Publikum daran gewöhnt, das Cello in Oktavlagen und Spielgeschwindigkeiten zu hören, die man sonst allenfalls der Geige zuordnen würde“, heißt es zu diesem Zyklus auf der oenm.Site. „Weniger bekannt ist, dass diese Entwicklung längst auch den vermeintlich schwerfälligen Kontrabass erfasst hat. So hat sich Alexander Gabryś den Ruf eines genialen Berserkers erworben, der aus seinem Instrument die erstaunlichsten Klänge hervorlockt. Weit entfernt von einem musikalischen Elefantenrennen ist folglich das Programm dieses Atelierkonzerts. Zwischen den fein abgestuften, hingetupften Klängen Mark Andrés und den wuchtigen Intervallblöcken Iannis Xenakis' liegt eine enorme Spannbreite, in der nicht nur Ondřej Adámeks magisch-skurriles Chamber Noise bequem Platz findet, sondern auch Steve Reichs notorische Clapping Music – bearbeitet für Cello und Kontrabass und garantiert leichtfüßig.“