Freiheitshelden an allen Pulten
CAMERATA / SIR ROGER NORRINGTON
08/10/19 Es ist alles andere als selbstverständlich, dass im Programmheft zu einem Konzert sämtliche Orchestermusikerinnen und -musiker abgebildet und namentlich erwähnt sind. Eine Wertschätzung – und für die Camerata Salzburg ist's eine programmatische Ansage.
Von Reinhard Kriechbaum
Beethovens Freiheitshelden war Motto des ersten Saisonkonzerts (Freitag und Sonntag. 4. und 6.10., im Großen Saal des Mozarteums, für den man den Ehrendirigenten des Ensembles, Sir Roger Norrington, ans Pult bat. Freiheitshelden unter sich, könnte man sagen: Sir Roger, der im März dieses Jahres seinen 85. Geburtstag feierte, ist im Kopf so frei, dass er sich, seinen Musikern und seinem Publikum nichts mehr beweisen muss. In diesen zwei Stunden war er als ein umsichtig und sehr zielgerichtet, den Seinen aber alle denkbaren Freiheiten gewährender Beethoven-Exeget zu erleben. Da wollen wir seine vielschichtige Sicht auf die Eroica nicht zerreden – das Entscheidende dieser Wiedergabe waren die von Norrington geöffneten, bis ans letzte Pult wahrgenommenen Freiheiten des Atmens, des im Kleinen eigenverantworteten und doch so akkurat abgestimmten Phrasierens. Knapp vierzig Freiheitshelden im Schulterschluss...
Klar, dass es unter Sir Roger Norrington nach wie vor kein waberndes Vibrato gibt. Umso genauer modelliert die Artikulation, das freizügige melodische Leben auch in den Neben- und Mittelstimmen. Diese Interpretation, die bei aller Binnen-Freiheit dann als Ganzes doch so ungemein schlüssig wirkte, hat die Aufmerksamkeit der Hörer angestachelt, bisher nicht Wahrgenommenes zu entdecken. So soll es sein.
Vor der Pause die Bühnenmusik zu Goethes Trauerspiel Egmont. Sir Roger Norrington hält seit je her die Streicherbesetzung klein gegenüber desn Bläsern, die er links und rechts der Streicher stehend positionierte. Das kam der Eroica zugute und erwies sich vor allem für Egmont als essentiell. Holz wie Blech hat ein gewichtiges Wörrtchen mitzureden, gerade die Stimmungsumschwünge in den Zwischenaktmusiken sind auf diese Weise durchaus plakativ herausgekommen – freilich drohte ein zartes Sopran-Stimmchen wie jenes von Marie-Sophie Pollak im Lied Die Trommel gerühret beinah unter die Räder zu kommen. Hannes Eichmann war der Sprecher, der die jeweiligen Inhalte, an die Beethovens Bühnenmusik unmittelbar anknüpft, anschaulich transportierte. Egmonts Melodram Süßer Schlaf – eine Art gesprochenes Rezitativ – steht für jenes experimentelle Genre, dessen Schicksal zu Beethovens Zeit eigentlich schon besiegelt war.