Alkoholspiegel steigend
LANDESTHEATER / WIENER BLUT
25/09/18 „Weil hab ich das nötige Quantum da drin, dann merk i net, was für ein Trottl ich bin.“ Weils wahr ist: Im Herzen des Goldenen Wiener Herzens steht der Würstelstand. Dort tankt man „a Krügerl, a Glaserl, a Stamperl“ und dort ereignet sich der in der Regie von Marco Dott der Showdown von Wiener Blut – seit langem der ersten Wiener Operette im Landestheater.
Von Heidemarie Klabacher
Alkoholismus und prügelnde Ehemänner? Woher denn! Damals, als es noch Grafen und Gräfinnen gab, gab es noch elegante Verwicklungen: Da lässt ein Herr sich mit drei Damen gleichzeitig ein, darunter die eigene Frau Gemahlin, und beweist damit, dass auch in ihm das Wiener Blut heiß strömt…
Sich den Kopf über Operetten-Libretti zu zerbrechen, hat noch nie etwas gebracht. Sich mit Gattung und Kunst der Operette zu beschäftigen, bringt immer etwas: Seiten-Blicke auf untergegangene soziale Schichten etwa, die sich mit Lust auf der Bühne persiflieren und damit erst recht als dem Untergang geweiht haben entlarven lassen; gute Unterhaltung und, im Falle von Wiener Blut, wertvolle Recycling-Tipps. Denn diese Operette gibt es eigentlich gar nicht. Die Musiknummern wurden, im Auftrag des Direktors des bankrotten Wiener Carlstheaters, aus dem überreichen Werk von Johann Strauß jun. zusammengestellt auf Basis eines Librettos von Victor León und Leo Stein. Die Uraufführung ist beim Publikum durchgefallen weil 1899 war im Goldenen Wienerherz und der schönen Weanastadt längst der Wurm drin. Wo er bis heute bohrt: Einige überaus klug eingestreute bösartige Anspielungen (Fake News!) auf politische Lage und soziale Zustände anno 2018 - samt Gerhard Bronners eingangs zitierter Ode an den Alkoholismus - zeugen davon, dass wieder einmal eine Welt auf dem Vulkan tanzt.
Regisseur Marco Dott hat das sinnige Geschehen um die turbulente Wiedervereinigung des Ehepaares Balduin Graf und Gabriele Gräfin Zedlau in einer unaufdringlichen historischen Gegenwart angesiedelt. Obwohl von Ausstatterin Conny Lüders alle Beteiligten in unauffällige heutige Alltags- und elegante Abendkleidung gesteckt wurden, eignet der Atmosphäre an der Oberfläche zumindest etwas liebevoll Altbackenes. Geradezu mit dem Stethoskop am Pulsschlag des Wienerischen horcht der zentrale dritte Akt, der am Würstelstand spielt. Christian Floeren hat drum herum einen hinreißenden authentischen Mikrokosmos samt öffentlicher Bedürfnisanstalt, U-Bahnstation, Fußgängerübergang und eben Würstelstand geschaffen.
Mit Witz und Elan spielt diese Inszenierung mit den Mitteln der Sprache, etwa mit dem Wienerischen und dessen Unverständlichkeit für deutsche Premierminister, vor allem aber spielt man mit dem Weana Dialekt und dessen stark fäkal-sexuell gefärbten Einschlag. So ist denn auch Karussellbesitzer Sascha Oskar Weis die Herzfigur des Abends: Seine Konfrontationen mit dem Fiakerutscher Michael Schober oder die Dialoge mit dem preußische Premierminister Axel Meinhardt, ohne Hoffnung auf Völkerverständigung, sind Höhepunkt des Abends: So authentisch Wienerisch wie an der Salzach ist man an der Donau noch nie gewesen. Virtuoser Sprachgebrauch, Schlag auf Schlag, Zotte auf Beleidung – und immer glasklar textverständlich, was bei den gesungenen Passagen selten der Fall ist. Und das ist schade. Denn gesungen wird in allen Partien ganz ausgezeichnet.
Franz Supper gibt den Balduin Graf Zedlau mit der ihm eigenen Strahlkraft in der Stimme und Treuherzigkeit im Ausdruck. Keine Dame kann ihm böse sein. Balduins getreuen Diener Josef sing Alexander Hüttner mit elegantem Timbre und vielen trotzigen „Weil‘s wahr ist“. Ein wenig an die Wand gespielt werden die Herren von den temperamentvoll alle Gesellschaftsschichten repräsentierenden Damen: Anne-Fleur Werner als Gräfin Gabriele, Ilia Staple als Tänzerin Demoiselle Franziska Cagliari und Tamara Ivaniš als Pepi Pleininger, auf die der Graf ebenfalls ein Auge geworfen hat, nicht wissend, dass es sich um die Braut seines Assistenten handelt... Trotz dieser einschlägigen Konstellationen kommt es im Wiener Blut zu keinen feinsinnigen Verstrickungen a la Figaro. Hohe und niedere Paare kommen ganz klassenlos durcheinander und finden am proletarischen Würstelstand wieder in ihre „natürliche“ Ordnung. Als eine Art memento mori geistert ein Sandler im Napoleon-Look stumm durch die Szene. Wäre es kostümmäßig historisch nicht etwas spät für ihn und trüge er stattdessen feldgrau, könnte man ihn als Voraus-Deutung auf den Untergang der Monarchie und die Gräuel des kommenden ersten Weltkrieges deuten. Diese Figur bleibt leider zu ephemer, um eine gesellschafts-kritische Nuance ins Stück hineinzukriegen. Da sind die eingestreuten tagesaktuellen Schnipsel scheidender.
Das Mozarteumorchester unter der Leitung von Robin Davis spielt mit Schwung und Verve und tiefem musikantischem Gespür für das Wienerische, ohne in pickige Sentimentalität zu verfallen: ein tragfähiges, federnd gespanntes und immer transparent durchhörbares Klangnetz für die Sängerinnen und Sänger.