Eine Flasche voll alles
ARGEkultur / stART FESTIVAL / HYMNEN
24/09/18 Das schwere Blech voran. Das Volk marschiert. Aber noch nicht in den Krieg. Es ist auch kein Festakt unserer Regierung: „End-gültiger Sieg über die Migrantenlobby“ oder so. Es sind nur ein paar Instrumente, ein paar kräftige Stimmen und der ARGE Saal als Aufmarschgebiet für einen herrlich schrillen Tumult - wohltuend in der Frechheit der Forderung, „dass einer teile“.
Von Heidemarie Klabacher
Fanfare Ciocărlia endgültig durchgeknallt? Nein. Nur das oenm mit einer Hymne von Marco Döttlinger auf einen Text von Marko Dinić unter dem Titel h.a.u.m. nach J.R. Becher. Text und Musik waren zusammen sehr viel mehr als nur ein effektsicheres bizarr-ironisches Spiel mit den Versatzstücken dessen, was man unter einer „Hymne des 21. Jahrhunderts“ erwartet. Besonders in unseren Tagen des erstarkenden rechten Nationalismus. Anklage und Ausweg sind in Dinićs Text enthalten. Klug gesetzte „Marker“ könnten in jeder klassischen Nationalhymne vorkommen, Worte etwa wie Hände, Kuss, ja Lieb oder sogar Gnad. Doch weit über solche sinnbefrachtete Einzelbegriffe hinaus, ist dies ein hervorragend verfremdeter und verfremdender Text, dessen Titel allein mehrere ideologische wie interpretatorische Twists erlaubt.
Gilt doch Johannes Robert Becher, der Autor der DDR-Hymne „Auferstanden aus Ruinen“ als Nationaldichter der untergegangenen „Deutschen Demokratischen Republik“, in dessen lyrischem Werk freilich immer wieder eine erstaunlich deutlich regimekritische Haltungen zu erkennen ist. In Gedichten freilich, die oft erst nach der „Wende“ bekannt geworden sind.
Politisch Lied, ein garstig Lied? Oder einfach ein Witz, wenn die historische Distanz passt? Bis heute passiert es, dass Bechers DDR-Hymne, etwa bei (sportlichen) Siegerehrungen, versehentlich anstelle der korrekten bundesdeutschen Hymne „Einigkeit und Recht und Freiheit“ eingeblendet wird. Das ist dann wohl genau jene Ironie der Geschichte, die zuschlägt, wenn man „Nation“ und all das zu wichtig nimmt. Nicht zu vergessen übrigens der permanente Drahtseilakt mit der richtigen Nationalhymne der Bundesrepublik: Diese soll ja erst ab der dritten Strophe des Original-Gedichtes - Das Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben - gesungen werden. Weil sich die beiden ersten Strophen die Nazis gekrallt hatten. Wenn man das Ganze nicht überhaupt mit dem Horst Wessel-Lied verwechselt…
Gründe über Gründe also, sich dem Thema „Hymne“ ironisch oder kritisch oder sonst wie subversiv zu nähern. Achtzehn „Hymnen und Lieder des 21. Jahrhunderts“ kamen denn am Freitag (22.9.) in der ARGEkultur zur Uraufführung. Die Idee gehe noch auf seinen Vorgänger Markus Grüner-Musil zurück, er habe sie mit Begeisterung umgesetzt, sagt ARGE-Leiter Sebastian Linz zur Kooperation mit dem oenm: Neun Komponistinnen und Komponisten vertonten Lieder und Hymnen von neun Autorinnen und Autoren. Werden sollte es – und geworden ist es auch – ein dramaturgisch in sich geschlossener Abend, ein „szenisches Konzert“. Bettina Geyer hat nicht „inszeniert“, sondern vielmehr klug und sparsam da und dort szenische Zeichen gesetzt, mal einen Vorhang ziehen oder die Vokalisten sich immer wieder neu gruppieren lassen. Gespielt hat das Österreichische Ensemble für Neue Musik oenm unter der Leitung von Alexander Drcar, gesungen hat ein hochkarätiges Vokalensemble.
Ursprünglich ist „Hymne“ ein feierlicher Lobpreis, oft im Kult verankert, die Nationalhymne eher eine junge Untergattung. Es gibt berühmte romantische Hymnen, wie jene des Novalis „an die Nacht“. Niemand schreibt vor, wen oder was eine Hymne zu preisen hat. Elke Lazinas Hymne an das Fremde, vertont von Josef Ramsauer, ist eine klare politische Äußerung von Weitblick. Frühe Gleichberechtigung, recht geradzeilig proklamiert von Mercedes Spannagel und Wolfgang Seierl, ist schon auch des Lobpreises würdig. Weiteren Horizont beweist freilich Alexandra Pazgu mit Europa, du lustiges Mädel auf Deutsch und Englisch, worin Europa als Land der Fremdsprachen und Bräuche ebenso besungen wird, schwungvoll plakativ-ironisch vertont von Shane Woodborne, wie als Land der Allergien und Arbeitslosigkeit. Geradezu in einem „romantischen“ Duktus folgend, samt großer Cello-Kantilene, und damit eine Beziehung zur vor allem romantisch konnotierten Gattung „Lied“ herstellend, kam Johanna Doderers Hymne Emblematisch auf einen Text von Markus Köhle daher. – Ein spannender „bunter“ und punktuell eben doch auch politischer Abend. Und endlich einmal richtig viel zeitgenössische Vokalmusik!
Hymnen und Lieder des 21. Jahrhunderts – noch eine Aufführung am Dienstag (25.9.) um 20 Uhr - www.argekultur.at
Bilder: ARGE / Wolfgang Lienbacher
Zum dpk-Vorbericht Singen kann Ihren Verstand benebeln