Russisch pur
KULTURVEREINIGUNG / TSCHAIKOVSKY SYMPHONY ORCHESTRA / FEDOSEYEV
08/02/18 Dass russische Musik niemand authentischer interpretieren kann, als „Russen“, bewiesen eindrucksvoll das in Moskau beheimatete Tschaikovsky Symphonie Orchestra und sein Chefdirigent Vladimir Fedoseyev am Mittwoch (7.2.) im Großen Festspielhaus. Andrei Korobeinikov war der phänomenale Klaviersolist.
Von Horst Reischenböck
Schwungvoll ging es in den Beginn des dreitägigen Gastspiels. Mit dem quirligen Auftakt der Streicher für Michail Glinkas Ouvertüre zu „Ruslan und Ludmilla“ sprang der zündende Funke spontan über. Die musikalische Illustration des Tohuwabohu anlässlich der Vorbereitungen in einer Küche bietet ideales Objekt, ein Orchester nicht bloß nur aufzuwärmen, sondern virtuoses Können in allen Facetten quer durch die Instrumentengruppen hindurch funkeln zu lassen. Die Moskauer ließen keinen Zweifel daran, dass und wie ihnen der Ahnherr russischer Musik am Herzen liegt.
Danach galt der volle Einsatz dem Namenspatron mit dem zweiten der drei drei Klavierkonzerte Tschaikowskys. Das Konzert Nr. 2 G-Dur op. 44 fristet im Schatten seines berühmten Vorgängers leider nur ein Nischendasein - ungerecht und unverständlich, wie der Eindruck erneut bekräftigte: Nicht zuletzt denk des Pianisten Andrei Korobeinikov, der nach dem effektvollen Orchesterauftakt griffig die Oktaven in den Steinway hämmerte - entsprechend des Komponisten Anweisung „brillante e molto vivace“.
Danach ergab er sich dem lyrischen Seitengedanken. Nach Momenten, die an Robert Schumann erinnerten, goss Korobeinikov silbrige Kaskaden über die exzellent agierenden Mitstreiter auf dem Podium und sinnierte sich, auf deren kämpferisch angehauchte Durchführung, nachdrücklich in die ausgedehnte Kadenz hinein. Der melancholische gefärbte Binnensatz gibt mit dem an Johannes Brahms gemahnenden Dialog zwischen Konzertmeister und Solocellisten dem Pianisten Zeit für eine Pause – bis zu dessen Einsatz zu einem kurzem „Triple-Konzert“, das Fedoseyevs bestimmende Führung nahtlos ins tänzerisch feurige Finale überleitete. Übrigens ein weiterer, von den technischen Anforderungen her nicht gering zu wertender, Kraftakt. Der jubelnden Zustimmung dankte Andrei Korobeinikov mit Sergej Rachmaninows Prelude g-Moll op. 23 Nr. 5.
Der legendäre Jewgeni Mrawinski hatte einst Vladimir Fedoseyev eingeladen, das Tschaikovsky Symphonie Orchestra zu dirigieren. Genau dieser Jewgeni Mrawinski hob einst die Sinfonie Nr. 10 e-Moll op. 93 von Dmitri Schostakowitsch aus der Taufe: das Hauptwerk des Konzerts im Großen Festspielhaus im zweiten Teil. Assistent war damals Kurt Sanderling, der dieses Werk später als „Anti-Stalin, eine Anti-Regime-Symphonie“ bezeichnete.
Schostakowitschs „Tragische“ steckt voll Düsternis von Anbeginn an. Beendet im Todesjahr des zuletzt unter Verfolgungswahn leidenden Diktators zitiert sie im zweiten Satz als fratzenhaftes Porträt des brutalen Herrschers die Einleitung zu Modest Mussorgskis „Boris Godunow“. Verschlüsselt als Umdeutung für das unterdrückte Volk, stellvertretend für den hilflos ausgelieferten Komponisten. Da gibt es wohl das kraftvolle Hornsignal im Allegretto oder das Zitat mit den Initialen Schostakowitschs und dem Motto „Ich habe ihn überlebt“. Doch selbst der nur vordergründig fröhliche Geschwindmarsch am Schluss des Ganzen wirkt nicht wirklich befreiend.
Vladimir Fedoseyev wird nächsten Monat auch mit den Wiener Symphonikern, denen er lange Zeit vorstand, diese Symphonie erarbeiten. Hier gelang ihm zusammen mit dem in allen Bereichen ausgezeichneten Tschaikovsky Symphonie Orchestra eine beeindruckende Darstellung. Sie berührte tief emotional und stieß auf entsprechenden Widerhall.
Heute Donnerstag (8.2.), erklingen statt Schostakowitsch Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“. Am Freitag (9.2.) spielt Andrei Korobeinikov Mussorgsiks „Eine Nacht auf dem Kahlen Berge“ und das zweite Klavierkonzert von Sergej Prokofjew - www.kulturvereinigung.com
Bilder: www.fedoseyev.com ; Carolle Bellaiche