Beste Stimmung zwischen den Stimmungen der Musikkulturen
OENM / NEUER ZYKLUS
13/11/17 Das Österreichische Ensemble für Neue Musik hat seinen neuen Zyklus eröffnet: Ausgerechnet „Schlechte Stimmung“ stand als Motto über dem ersten Konzert am Freitag (11.11.) im Solitär. Die Instrumente freilich waren (fast zu) akribisch gestimmt. Die Stimmung bestens.
Von Erhard Petzel
Dass bei einer Bearbeitung von „Signeur Dieu ta pitié“ von Guillaume Costeley (1530 – 1606) mitteltönige Stimmung verhandelt wird, liegt nahe. Ein Streichquintett konzertiert mit einem Quartett aus Flöte, Posaune, Bassklarinette und E-Piano (da sind diverse Stimmungen wählbar) in einem Klangspektrum mit 19 Unterteilungen der Oktave. Wenn davor Mozarts Gigue G-Dur KV 574 von Nora Skuta am Flügel serviert wird, bleibt dieser Bezug zum Thema zunächst etwas rätselhaft. Das OENM will zur Erhellung des Publikums in diesem Zyklus ja weniger auf das im Programmheft gedruckte, denn auf das live gesprochene Wort setzen (und auf verschiedene andere Formen lebendiger Vermittlung). So wird die Beziehung zwischen Costeley und Mozart mit des Salzburgers noch aus dem Barock bezogener Wahrnehmung von Intonation her erklärt.
Alexander Moosbrugger, Bearbeiter des Costeley-Stücks, greift in Zusammenarbeit mit Thomas Kessler im Eröffnungswerk „Alignement für 4-Kanal-Zuspielung“ Aufgabenstellungen Mozarts an seinen englischen Schüler Thomas Attwood auf. Anmerkungen und Basso-Bezifferungen sind Textmaterial, das einzelne Abschnitte durch Sprecher und Sprecherin tagebuchartig gliedert.
Inventionen gleich werden einzelne Intervall- und Klangverhältnisse in Gleittönen ausverhandelt und mit percussiven Modulationseffekten als synthetische Pulsgruppen strukturiert. Diente diese elektronische Komposition schon als Raumklangerlebnis für diverse Veranstaltungen, kommt „Innehalten“ von Hossam Mahmoud hier zur Uraufführung. Die arabische Front bilden Ney (Mohamed Fouda) und Reqq (Hany Bedeir), seitlich und hinten umschließt das Ensemble den Raum.
Stimmung wird hier im Zusammenwirken der arabischen Flöte – quasi ein naturnahes Instrument – mit dem hochgezüchteten Konzertinstrumentarium in klanglich bezaubernder Harmonie diskutiert und treibt manche Reibung in den Raum. Behutsame Inseln an Phrasen und Klangspuren überspannen Pausen gleichsam als das Atmen des großen Solitär-Tieres, das alle mit seinen Kiemen (oder Rippen) fasst.
Moosbrugger beschließt mit der zweiten Uraufführung den Abend, der ihren Titel übernommen hat. „Schlechte Stimmung“ wird mit einem Video eingeleitet, das vielleicht eine amerikanische Spenden-Show zeigt. Als real inszenierte Ouvertüre wirft ein Croupier das Roulette-Rad an und klimpert mit den Chips. In fünf Sätzen wird Stimmung zunächst an den Kontrasten zwischen dem starren Klavier und flexiblen Orchesterinstrumenten abgehandelt, wobei Alexander Bauer seiner Kollegin Skuta am Klavier zur Bewältigung komplexer kontrapunktischer Strukturen öfters beispringen muss, um sich dann wieder seinem Keyboard-Metier zuzuwenden.
Ähnliche Verhältnisse herrschen später zwischen Marimba und Streichern. Streicherblöcke toben sich in Gleittönen aus, bevor nach einem miss-stimmigen Unisono der Croupier das Spiel endet, diesmal elektronisch eingespielt. Mit diesem Assoziations-Hintergrund ist wohl auch die pejorative Titelbestimmung inhaltlich motiviert. Johannes Kalitzkes Dienste sind zuvor in Stockhausens KONTRA-PUNKTE für Ensemble schon gefragt, womit quasi ein Ahnherr für serielle Musik ins Stimmungs-Boot geholt wurde.
Mit Marc Sabat und Wolfgang Schweinitz kommen weitere Grundlagenarbeiter für neue Musik zu Ohr. Ihr System zu Mikrotönen findet sich in „Intonation for any (3) instruments […]“. Geige, Bratsche und Posaune mühen sich am Material ab, fußend auf dem Ricercar aus Bachs musikalischem Opfer. Ist es der Sichtweise auf Bachs Musik durch das Komponistenduo oder dem Kampf des Musikertrios um die Intonationsvorgaben geschuldet? So sehr das oenm mit den Uraufführungen seine glänzenden Spuren in unsere hiesige Kulturlandschaft legt: Für die alte Musik wünschte man sich vielleicht doch mehr die Frische der Intuition als die Kopfarbeit an Intonation. Letztere war an diesem Abend keineswegs schlecht. Und für die Hebung von Stimmung sorgt allemal der vom oenm angebotene Umtrunk hernach.