Musik war bei ihrer Entstehung immer zeitgenössisch
HINTERGRUND / ÖSTERREICHISCHES ENSEMBLE FÜR NEUE MUSIK / NEUER ZYKLUS
10/11/17 Die erfolgreichen „Atelierkonzerte im kleinen Rahmen“ sind dem Österreichischen Ensemble für Neue Musik nicht genug. Am Samstag (11.11.) startet das oenm im Solitär einen neuen „Zyklus für zeitgenössische Musik“. Didi Neidhart sprach für MICA Austria mit dem künstlerischen Leiter Peter Sigl, dem Geiger Ekkehard Windrich und dem Geschäftsführer Harald Schamberger.
Geplant sind vier Konzerte pro Saison mit je einer musikalischen Fragestellung. Zusätzlich soll es um Nachwuchsförderung und um eine ganz spezielle Art der Vermittlung von Aspekten zeitgenössischer Musik gehen. Wieso geht es 2017/18 bei zeitgenössischer Musik, die ja mitunter auch schon einige Jährchen auf dem Buckel hat, immer noch darum, Vorurteile abzubauen?
Peter Sigl: Musik war bei ihrer Entstehung immer zeitgenössisch und den jeweiligen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen nicht vertraut. Was jedoch vor 200 Jahren ganz anders war, ist zum einen die Tatsache, dass es viel weniger Angebote gab und damit verbunden auch keine Aufspaltung in U, E oder sonstige Genres. Zum anderen gab es eine klare Entwicklung und regionale bzw. überregionale Strömungen, in deren Rahmen sich Komponistinnen und Komponisten bewegten. Das gibt es heute nicht mehr. Jede Künstlerin und jeder Künstler schafft ihren bzw. seinen eigenen Stil, individuelle, sehr diverse Ansätze sind die Folge. Die logische Konsequenz ist, dass niemand mehr mit allen Richtungen vertraut sein kann. Neues, nicht Vertrautes schafft Vorurteile. Das ist eine sehr menschliche Eigenschaft.
Auch die beiden Weltkriege, die das 20. Jahrhundert geprägt haben, schufen eine riesige Vertrautheitslücke. Die Entwicklungen in der Kunst fanden eher im Verborgenen statt und viele wurden beim „Wiedereinstieg“ in die Kunstwelt völlig überfordert.
Ekkehard Windrich: Dabei kam es zum Bruch zwischen der klassischen Musik und großen Teilen ihres Publikums. Es ist müßig, nach Schuldigen dafür zu suchen. Diese Entwicklung war schlicht Ausdruck der furchtbaren gesellschaftlichen Erschütterungen dieser Zeit. Einerseits ist dieser Riss nie verheilt, andererseits bleibt klassische Musik in ihrer Entwicklung nicht stehen, sondern differenziert sich immer weiter aus. Es fühlt sich manchmal schon wie eine Sisyphusarbeit an, aber wir wollen und müssen alles tun, um diesen Bruch zu reparieren.
Peter Sigl: Diese Lücke zu schließen, wird noch viele Jahre dauern, und bis dahin wird es Misstrauen und Vorurteile geben. Im Moment beginnen wir langsam, aber sicher, die zweite Wiener Schule als nicht mehr zeitgenössisch zu bezeichnen.
Im Programmheft schreiben Sie: „Wir verfolgen dabei das Ziel des selbsterklärenden Konzerts.“ Was ist darunter zu verstehen und wieso gibt es dann doch Konzerteinführungen?
Ekkehard Windrich: Neue Musik braucht ebenso wie zeitgenössische Kunst oft ein wenig Hintergrundwissen. Texte sind keine optimale Lösung, um dieses Wissen zu vermitteln. Sie lenken meist vom Zuhören ab, das Publikum blättert im Programmheft, statt einfach zuzuhören. Wir wollen erreichen, dass die notwendige Wissensvermittlung selbst Teil des Konzerts wird. Dazu nutzen wir ohnehin entstehende Umbaupausen, um über künstlerisch gestaltete Videoeinspielungen das Gehörte zu erklären.
Bei der seit 2011 bestehenden Reihe „oenm. ganz privat“ steht ebenfalls der Kontakt zum Publikum in Fokus steht.
Peter Sigl: Nach jedem Konzert der Reihe „oenm. ganz privat“ ergeben sich bei einem Glas Wein interessante Gespräche. Vor allem mit Menschen, die zum ersten Mal mit zeitgenössischer Musik in Berührung gekommen sind. Es ist uns vor allem klar geworden, dass wir, ohne dabei in Kommerz oder Gefälligkeit abzugleiten, unsere Zuhörerinnen und Zuhörer dort abholen müssen, wo sie stehen. Und gleichzeitig ist uns auch klar geworden, dass wir unserem Publikum wohldosiert sehr viel zumuten können!
Ekkehard Windrich: Das stimmt. Es macht uns Mut zu erleben, wie viel Neues die Menschen zu verarbeiten fähig sind, wenn man einerseits auf erzieherische Bevormundung verzichtet und andererseits keine Angst davor hat, dem Publikum auch ziemlich viel abzuverlangen.
Sie stellen ganz selbstbewusst klar, „dass die Musikstadt Salzburg einen solchen Zyklus braucht“. Jetzt ist aber das Verhältnis von Salzburg zur Moderne generell kein friktionsfreies – das Scheitern von Projekten wie Kontra.com im Jahr 2006 oder der Salzburg Biennale zeugen ja auch davon. Andererseits gibt es die Reihe „oenm. ganz privat“ nun schon seit sechs Jahren. Was macht das oenm da anders als die anderen?
Peter Sigl: Ich denke, dass uns gerade die Tatsache, dass wir kein überbuchtes Ensemble sind, das von Festival zu Festival reist und immer von außen festgelegte, neueste Strömungen bedienen muss – was uns vielleicht auch manchmal fehlt – eine gewisse ehrliche Authentizität ermöglicht. Dadurch bekommen wir vielleicht eine nachvollziehbare, klare Identität. Das fehlt den „Großen“ manchmal. Prägend ist sicher auch, dass die praktizierenden Musikerinnen und Musiker selbst maßgeblich an der Entstehung der Programme beteiligt sind. Oft sind Programme zu theoretisch und gehen in der Praxis nicht auf.
Ekkehard Windrich: Ehrlich gesagt: Wir mögen diese Reibung. Und die Atelierkonzerte schaffen das nötige Umfeld, um diese zu artikulieren. Dass die Stadt keineswegs nur wirtschaftlich so sehr an Mozart hängt, ist doch wunderbar, das gibt es sonst nicht oft auf der Welt. Und warum sollten wir den musikliebenden Menschen der Stadt verübeln, dass sie Gegenwart und Zukunft mit einer gewissen Skepsis betrachten – ist das denn so völlig unbegründet? Wir finden nur, dass man die Verbindung zur alten klassischen Musik gerade dadurch am meisten gefährdet, dass man die Musikgeschichte als abgeschlossen betrachtet. Selbst der mächtigste Baum stirbt, wenn er keine neuen Triebe mehr setzt.
Der „Zyklus für zeitgenössische Musik“ findet im Solitär der Universität Mozarteum statt, gleichzeitig ist das oenm Kooperationspartner der Universität Mozarteum im Rahmen der „Werkstatt-Akademie für Neue Musik“, wo das Ensemble mit Studierenden der Fächer Komposition, Dirigieren und Instrumentalmusik zusammenarbeitet. Wie wichtig sind solche Kooperationen, auch für die Zukunft der zeitgenössischen Musik in Salzburg?
Peter Sigl: Das ist extrem wichtig. Viele Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer, die sich nicht koordinieren und ihre Ressourcen bündeln, bringen wenig, gerade in einem Umfeld, das nicht von Natur aus förderlich für die Sache ist. Vor allem aber ist die Zusammenarbeit mit Ausbildungsstätten wichtig, denn von dort kommen die Zuhörerinnen und Zuhörer von morgen. Dort wird der Grundstock für die oben erwähnte Vertrautheit gelegt. Wir als Ensemble bleiben dadurch in Verbindung mit jüngeren Generationen und verbessern unsere Chance, als inzwischen auch schon 50-jährige Dinosaurier das wirklich Neueste auch noch mitzubekommen.
Themen der ersten vier Konzerte sind „schlechte stimmung“, „mikrophonie“, „selbstorganisation“ und „schatten“.
Ekkehard Windrich: Wir befassen uns mit dem Weg, den die klassische Musik bis heute genommen hat und spekulieren darüber, wie es weitergehen könnte. Inwieweit Rückfragen an die Musikgeschichte für die zeitgenössische Musikszene noch aktuell sind, ist ziemlich schwierig zu beantworten. Es ist ja schon länger umstritten, ob sie sich überhaupt noch selbst als klassische Musik versteht. Teilweise erinnert das inzwischen eher an staatlich subventionierte Popmusik gespielt auf alten Instrumenten. Diese Entwicklung möchten wir zwar nicht verurteilen, sehen unsere Aufgabe aber schlicht auf einem anderen Gebiet.
Peter Sigl: Die Frage, wie aktuell etwas ist, schauen wir uns zwar an, sie hat aber wenig Einfluss auf die Gestaltung unserer Programme. Die Worte „Gegenwart und ihr Gewordensein“ drücken tatsächlich das aus, was uns ein Anliegen ist: Zusammenhänge nachvollziehbar zu machen und nicht nur einen Spot auf diese oder jene topaktuelle Strömung zu werfen.
Ekkehard Windrich: Wie wichtig der Blick zurück gerade für aktuelle Themen sein kann, zeigt das Eröffnungskonzert „schlechte stimmung“. Die schrillen Debatten über Zuwanderung zeigen unmissverständlich auf, wie schwammig unser Begriff von Kultur geworden ist, wie schwierig sich so etwas wie eine eigene Kultur behaupten lässt. Das scheint sich einer handfesten sprachlichen Definition zu entziehen. Aber vielleicht ist eine weniger strikte Sprache, nämlich die musikalische, geeigneter, solchen Fragen nachzugehen. Wir stellen dabei die abendländische Gegenwart in kontrapunktische Beziehung zu ihrer eigenen Geschichte und wagen aus dieser Position heraus einen Blick auf andere Kulturen und in die Zukunft.
einen Blick auf andere Kulturen und in die Zukunft.