Aus dem Leben der Tastenkrabbler
CAMERATA / SCHWESTERN LABÈQUE
16/10/17 Wie man weiß, hat Camille Saint-Saëns die Pianisten kurzerhand dem Tierreich zugeordnet und ihnen in seinem „Karneval der Tiere“ einen Käfig eingeräumt. Hatte er da schon eine Vorahnung von Minimal Music à la Philip Glass?
Von Reinhard Kriechbaum
Attraktive Exemplare der Spezies jedenfalls im ersten Saisonkonzert der Camerata Salzburg: Katia und Marielle Labèque gleich mit zwei Stücken von Philip Glass: Das „Double Piano Concerto“ ist so etwas wie ein Sammel-Auftragswerk des heuer achtzig gewordenen Amerikaners und Miterfinders der Minimal Music. Orchester von Los Angeles Philharmonic über Istanbul, Göteborg bis Spanien waren 2016 gemeinsam Auftraggeber, und heuer ist für die Camerata Salzburg, das Orchestra della Svizzera Italiana und Concerti RSI obendrein eine etwas reduzierte, in der Besetzung aber immer noch ansehnlich „symphonische“ Variante entstanden.
Die Schwestern Labèque konnten und können sich also sicher sein, das Stück oft los zu werden. Am Freitag und Sonntag (13./15.10.) im Großen Saal des Mozarteums war's die Österreichische Erstaufführung. In seiner zirzensischer Aufgedrehtheit, mit übermütig jazzelnden Passagen, einem guten Schuss Barmusik-Flair, aber auch mit einem mehrmaligen Auspendeln in üppig-melancholische Stimmung ist es ein griffiges und daher repertoiretaugliches Stück. Was Philip Glass an tönendem Populismus im kleinen Finger hat, haben die Damen Labèque in deren zwanzig. Sie lassen sich nicht irritieren, auch wenn die Camerata in der Lautstärke gegenüber den beiden nicht gerade den Kavalier hat raushängen lassen. Man hörte da wohl, dass nicht alle Musik vom Konzertmeisterpult aus zu lenken ist. Dort wirkte Natalie Chee und deren Stärke liegt natürlich viel eher bei Mozart (Pariser Symphonie) und vor allem bei Haydn. Dessen c-Moll-Symphonie Hob. I:95 mit ihrem vielgliedrigen Kosmos an unterschiedlichen Temperamenten wurde eingangs so anschaulich und reizvoll wie nur denkbar koloriert. Haydn beschrieb in dieser Symphonie nach eigener Aussage „moralische Charaktere“. Mit dem Typen, für den das Hauptthema im Eröffnungssatz steht, wäre vermutlich nicht gut Kirschen essen.
Übrigens: Es muss nicht der Schwan von Camille Saint-Saëns sein. In der Haydn-Symphonie versteckt sich im langsamen Variatioonensatz beinah ein Cellokonzert, und auch im Trio-Abschnitt hatte der beispielhaft schlank und wendig artikulierende Solocellist ein reiches Betätigungsfeld.
Im „Carneval der Tiere“ kamen Katia und Marielle Labèque nochmal zum Einsatz. Und nach der Glass-Erstaufführung haben sie sich vor der Pause noch für ein weiteres Stück des Minimalisten als Zugabe ins Zeug gelegt, einen Satz aus dessen „Four movements for two pianos“. Das war ordentlicher Zündstoff.