Kennst Du das Land ...?
MOZARTEUMORCHESTER / RICCARDO MINASI
09/10/17 Riccardo Minasi weiß als Italiener, „wo die Zitronen blühn“: Durch seine Heimat beflügelt zündete er in seiner ersten Matinee mit dem Mozarteumorchester ein Feuerwerk mit Kompositionen von Berlioz, Mendelssohn und Strauss.
Von Horst Reischenböck.
Geheimrat Goethe reiste wie das klassische und romantische Bildungsbürgertum ins Land südlich der Alpen. Inspiration auch für zahlreiche Komponisten. Franzosen lechzten danach, preisgekrönt ein Jahr sorgenfrei in Rom verbringen zu dürfen. Das gelang Hector Berlioz erst im dritten Anlauf. Die daraus gewonnene Inspiration schlug sich dann sowohl in seiner Harold-Sinfonie als auch in der vorerst nicht sonderlich erfolgreichen Oper „Benvenuto Cellini“ nieder. Ihre prächtigen Melodien bewogen ihn jedoch noch zehn Jahre später sogar zu einer zweiten Ouvertüre, betitelt „Le Carnaval romain“.
Sie gehört längst zu orchestralem Standardrepertoire, hingegen wird die nicht minder leidenschaftliche und ebenso virtuos konzipierte eigentliche Ouvertüre zur Oper weit weniger oft gespielt. Riccardo Minasi hat sie an den Beginn der Matinee am Sonntag (8.10.) im Großen Festspielhaus gesetzt. Ein Knaller als fulminant funkelnder Einstieg, mit glänzend vollem Blech und durch drei Paukisten akzentuiert prall ausgereizt und Berlioz' ureigenste Führung an lyrischen Gegenstimmen den sieben Kontrabässen gegenüber feinst abschattiert.
Auch Felix Mendelssohns bekanntester „Italienischer“ A-Dur-Sinfonie, von ihm selbst nie offiziell veröffentlicht und deshalb als Nr. 4 mit später Opus-Nummer 90 gezählt, verordnete Minasi im Anschluss daran die nahezu idente Großbesetzung. Der Dirigent kostete die in den Kopfsatz einkomponierte sinnliche Freude beim Anblick der Fremde schwungvoll aus und setzte ihr durch Anziehen des Tempos in der Stretta noch eins drauf. Die heimwärts gewandt melancholischen Gedanken blühten danach zart in den Holzbläsern auf. Dem gleichfalls retrospektiven Menuett verordneten danach Minasis großbögige Gesten bereits zügigere Tempi, ehe er tänzerisch beschwingt dann das Mozarteumorchester wirkungsvoll vor sich her trieb und mit ihm zusammen dem finalen Wirbelwind in hörbar absoluter Übereinstimmung noch weitere funkelnde Glanzlichter aufsetzte.
Ein halbes Jahrhundert nach Mendelssohn reiste auch Richard Strauss gen Süden, aus gesundheitlichen Gründen. Ihm gab das Land Anregung zu einer Fantasie in G-Dur op. 16, „Aus Italien“. Ein Werk des Übergangs auf dem Weg zu den sinfonischen Dichtungen, in das nach des Komponisten Worten „Bilder entschwundener Herrlichkeit, Gefühle der Wehmut und des Schmerzes inmitten sonnigster Gegenwart“ Eingang fanden. Von Zeitgenossen wurde das Stück spöttisch als „musikalischer Baedeker“ abqualifiziert. Es ist, unberechtigt, wenig im Repertoire verankert, kam beispielsweise erst 100 Jahre später zur Salzburger Erstaufführung, im Rahmen der Festspiele. Und es dauerte weitere vierzig Jahre, bis sich nun Riccardo Minasi seiner annahm.
Es braucht wohl einen italienischen Dirigenten, um Begeisterung dafür zu entfachen. Für die zärtlich von Oboen und Flöten ausgekostete, Claude Debussy vorwegnehmende Strand-Episode oder das abschließend „Funiculì-funicilà“ populär strapazierende Neapel, in dem Strauss' Kollege Hans von Bülow damals „äußerste Grenze des tonlich Möglichen“ (!) sah. Darin entfesselte Riccardo Minasi mit „sprungbereit“ körperlichem Einsatz wirkungsvoll letzte Reserven des Mozarteumorchesters. Wirkungsvoller hätte das nicht sein können, und mehr Beifallsturm auch nicht.