Expressive Fresken
WIENER SAAL / WEILERSTEIN, BARNATAN
01/03/17 Die Cellistin Alisa Weilerstein und der Pianist Inon Barnatan, sind ein perfektes Duo am Konzertpodium, obwohl er vom Tablet und sie schön altmodisch von gedruckten Noten spielt. Beider Konzert im vollen Wiener Saal begeisterte am Faschingsdienstag. Wobei vom Fasching nichts zu spüren war.
Von Gottfried Franz Kasparek
So ein Tablet am Klavier erspart einen blätternden Menschen, was kein Nachteil ist. Und in diesem Fasching ist eigentlich sehr wenig lustig auf der Welt. Der grimmige Humor Beethovens, der auch in seinen experimentellen Cellosonaten op. 102 mitunter zu hören ist, passt dazu recht gut. Zumal wenn die temperamentvolle und jeden Takt mitfühlende Cellistin zu plötzlichen Anfällen von verbissenem Zorn ansetzt, die in den Noten stehen und vom herrlich mitatmenden Pianisten entsprechend markant mitgetragen werden.
Technisch sind beide ohne Fehl und Tadel. Wesentlicher ist aber das Maß an emotionaler Erfüllung, welches sie in diesen immer noch modern anmutenden, zerklüfteten, mitunter brachialen Sonaten erreichen. Zwischen hitzigem Aufbegehren und schier endlos schönen, dann aber brutal unterbrochenen Cellogesängen entsteht ein Klangfarben-Fresko der Gefühle und Leidenschaften. Dass die aus den Fugen geratende Schlussfuge der D-Dur-Sonate als eigentlich unspielbar gilt, verweist Alisa Weilerstein ins Reich der Legenden. Sie fegt nicht nur souverän durch die wilden Noten, sie hält auch die knisternde Spannung zwischen bärbeißigem Witz und tiefer Verstörung durch, quasi getragen von Inon Barnatan.
Zwischen Beethovens Moderne stand klassische Moderne. Man könnte böse sein und sagen, dass die 1937 entstandene Cellosonate von Samuel Barber mehr „oldfashioned“ ist als die 1815 komponierten Sonaten des Wiener Klassikers. Aber erstens hält sich große Musik nicht immer an die von ohnehin fragwürdiger Seite vorgeschriebene Entwicklung und zweitens meißeln Weilerstein & Barnatan auch aus dieser schwelgerischen Musik harte Kontraste heraus – was sie nicht könnten, wenn Barber sie nicht angelegt hätte. So wird die lyrische Melodik der beiden langsamen Sätze – und Barber war ein betörender Adagio-Komponist! – durch völlig konträre, lustvoll hüpfende Mittelteile in Frage gestellt. Und wenn Frau Weilerstein mit großem, sonorem Ton so richtig ins Schwelgen kommt, kann man sowieso nicht widerstehen.
Doch nicht nur dieses „American Classics“-Intermezzo, sondern auch das Finale des Konzerts hatte es in sich. Frédéric Chopins einzige Cellosonate ist ja kein romantischer Schönling, sondern ebenfalls ein expressives Klangfeld voll aufregender Innovationen. Der Wahrnehmung von Chopin als einem der Wegbereiter der Moderne steht ja immer dessen große, gefühlvolle Melodik und scheinbar oberflächlich perlende Virtuosität entgegen, aber gerade in dieser Sonate zerbröselt er die Chromatik oft so lange, bis er hart an die Grenzen des tonalen Systems gerät. Und da gibt es atemlose Momente extremer Verdichtung, da wird nicht zu Unrecht im kapitalen ersten Satz auf Schuberts „Winterreise“ angespielt, auf „Gute Nacht“. Dies ist Musik, entstanden im Schatten des Todes. Sozusagen Musik für den dräuenden Aschermittwoch. Alisa Weilerstein und Inon Barnatan verliehen auch Chopin ihre ganze Musikantenseele. Der Schlussjubel wurde mit schönstem Rachmaninov belohnt.