Beim Chopin-Spiel live belauscht
CD-KRITIK / FRIEDRICH GULDA
31/12/10 Am 27. Jänner, Mozarts Geburtstag, starb im Jahr 2000 Friedrich Gulda. Er stellte sich das Paradies so vor: „Ich werde auf einer rosa Wolke sitzen und am Flügel gemeinsam mit Herrn Mozart vierhändig spielen.“ Sonst hätte vielleicht Österreichs Star am internationalen Pianistenhimmel heuer am 16. Mai seinen 80. Geburtstag feiern können.
Von Horst Reischenböck
Guldas klingendes Vermächtnis im klassischen Bereich sind Maßstäbe setzende Bach- und Beethoven-Interpretationen, aber auch ausgewählte Mozart-Klavierkonzerte oder der Debussy-Preludes. Was Mozart betrifft, haben seine Söhne Rico und Paul als „Nachlassverwalter“ vor wenigen Jahren zudem die in Steinbach am Attersee privat entstandenen Mitschnitte der Klaviersonaten ediert. Weit weniger im allgemeinen Bewusstsein verankert ist Gulda in Sachen Frédéric Chopin. Vielleicht deswegen, weil er zwar relativ bald zumindest einige Werke in seine Programme einband, erst spät aber wieder zu diesen zurück fand. So enthielt die erste Aufnahme noch vor 1950 lediglich die As-Dur-Etüde op. 25 Nr. 1, die 3. Ballade und die Des-Dur-Berceuse op. 57.
Rechtzeitig zu Chopins 200. Geburtstag (auch der war heuer zu feiern) hatte Paul Gulda Bänder sortiert, die des Vaters auch diesbezüglich exemplarisch zu bezeichnende Auseinandersetzung belegen. So zwei Live-Mitschnitte, die im kurzen Abstand hintereinander 1955 alle 24 Preludes op. 28 boten (audite hat übrigens erst kürzlich eine weitere RIAS Berlin-Aufnahme in einer mit dem Midem Classical Award ausgezeichneten 4-CD-Box veröffentlicht).
Der Reiz der Mischung beider liegt auch darin, dass Friedrich Gulda in Zürich einen Steinway, in Graz auf einem Bösendorfer spielte. Wobei nach dem fulminanten Vivace der Nr. 3 mit Einsetzen des nachfolgenden Largos die andere Raumakustik und der gewöhnungsbedürftig unterschiedliche Lautstärkepegel irritieren. Guldas Credo „Spiele jeden Ton so, als ob es um dein Leben ginge!“ löste er auch im selben Jahr in Triest in allen vier Chopin-Balladen mit letztem Einsatz und ergo genauso exemplarisch ein. Dazu umrahmen drei Nocturnes die Barcarolle op. 60 und den posthum veröffentlichten Walzer in e-Moll.
Ein absoluter Gewinn auch die Wiederveröffentlichung der Aufnahme des 1. Klavierkonzerts, 1954 zusammen mit dem London Philharmonic Orchestra unter Sir Adrian Boult entstanden und einst von DECCA auf LP veröffentlicht. Ein rares Dokument auch insofern, als dadurch auch die Orchesterfassung von Mily Balakirev nachvollziehbar wird, der wie etwa der Warschauer Adam Müncheimer die originale Instrumentierung verbesserungswürdig fand. So wie Gulda damals den Solopart des Opus 11 spielte, hätte er jedenfalls sicher auch den Chopin-Wettbewerb für sich entschieden!
Erst 1986 wandte sich Gulda wieder Chopin zu. In der Münchner Philharmonie, veröffentlicht auf AMADEO, einmal „Chopin pour ma douce“ als Bündelung der Etüde op. 25/7, zweier Nocturnes und einem halben Dutzend Preludes. Vergleiche zeigen, etliche sind tempomäßig rascher. Das im selben Jahr aus dem Wiener Konzerthaus dokumentierte, mit Chopins „Todes-prélude“ in c-Moll anhebende „Epitaph“ hat Paul Gulda hier auch noch als Füller mitgepackt. Allerdings unter Verzicht auf H.C.Artmanns Texte, was das Verstehen von Friedrich Guldas Komposition leider doch nicht wie gewünscht begünstigt.