Das Leben ist zu kostbar, um sich zu ärgern
BUCHBESPRECHUNG / KUMPF / GLÜCK IM ALTER
16/03/12 „Ja, meine Kinder sind auch schon in Pension, aber sie sind kränker als ich.“ - Es gibt Bücher, die passen vom Format her zwar in kein Regal, machen aber trotzdem glücklich. Manche von ihnen tragen das Glück sogar stolz vor sich her im Titel – sind aber meilenweit entfernt von aller Ratgeber-Banalität und faszinieren mit Unaufgeregtheit und Understatement.
Von Heidemarie Klabacher
„Nein, ich war niemals im Urlaub, ich will auch gar nicht. Mein Platz ist hier. Nur ein einziges Mal sind wir mit dem Seniorenclub nach Tirol gefahren. Dort habe ich mir dann an beiden Füßen einen Fersensporn geholt, seitdem ist mit dem damenhaften Schuhwerk schluss, stattdessen watschl ich mit dem Stock.“
Andreas Kumpf, studierter Psychologe und Unternehmensberater, war „Zu Besuch bei 21 glücklichen Menschen im Alter von 65 bis 95 Jahren“ – so der Untertitel des großformatigen Bildbandes „Glück im Alter“, mit dem der Verlag Anton Pustet einen wahren Glücksgriff getan hat.
Die älteren und alten Menschen könnten von Herkommen, Aufwachsen und Lebensweg nicht unterschiedlicher sein. Reiche Leute mit großbürgerlichen Salons sind darunter und solche, für die das 35 Quadratmeter-Appartement im Pensionistenheim das Paradies ist. Ehepaare, für die das größte Glück das Miteinander ist, stehen dem Autor ebenso Rede und Antwort, wie Geschiedene oder Verwitwete.
„Glück ist für mich, die Alkoholsucht überwunden zu haben und täglich das Leben in vollen Zügen genießen zu können, mir und anderen zu zeigen, dass man aus jedem noch so kleinen und schäbigen Loch herauskommen kann.“
In den einundzwanzig Porträts fehlt es nicht an Tragödien, Krankheit und Katastrophen, die jedes Leben überschatten können. Das Glück, von dem die Portätierten zeugen, liegt - wie es scheint - zu einem großen Teil darin, dass es ihnen gelungen ist, dieses Leid nicht nur zu akzeptieren, sondern im gelebten Leben einfach aufgehen zu lassen.
Hermine etwa, aus deren Mund das launige Eingangszitat stammt, ist „als Baby verschenkt worden“: „Die Zeit war damals eben so.“ Sie habe es nicht schlecht gehabt und später bei einem Greißler zu arbeiten angefangen. Hermine Jahrgang 1921, deren Porträt ein von ihr verfasstes Gedicht mit dem Titel „Der Kobold“ voran steht, bezeichnet sich selbst als Glückskind: „Ich bin heuer schon dreimal gestürzt und immer wieder aufgestanden. Auch wenn meine Schulter wehtut, gehe ich jeden Tag hinaus und laufe meine Runde. Ich zähle meine Schritte, mindestens 500 sollten es schon sein…“
Einfach wunderbar – bewegend, aber nie plakativ – sind die Bilder der beiden jungen Fotographen Carina Hinterberger und Sebastian Freiler. Stimmungsvolle Aufnahmen aus dem persönlichen Umfeld unterstreichen die Geschichten und Gespräche mit ihrem liebevollen Blick fürs Detail. Die einfühlsamen Porträts zeugen davon, dass es dem Interviewer und den Fotographen gelungen sein muss, das Vertrauen der Befragten zu gewinnen.
„Die Leute hier kommen viel zu spät ins Heim, erst wenn zu Hause gar nichts mehr geht, und dann sitzen sie hier auf dem Flur und starren alle auf den großen Fernseher und auf den Aufzug. Das kann nicht mein Leben sein. Aber es gibt auch wirkliche Gentlemen und Sirs hier in der Wohnanlage. Der Herr O., ein echter Sir mit geradem Gang und Eleganz hat mir wirklich imponiert mit seinen 100 Jahren.“
Die Chance glücklich zu bleiben/werden hat jeder und jede, aber Rezept gibt es keins. Der Schluss-Essay von Andreas Kumpf „Das Glück um Laufe des Lebens“ zeichnet differenziert Faktoren nach, die „Glück“ in den verschieden Lebensphasen beeinflussen können. „Wer bei sich beobachten kann, dass er in der Lage ist, sich wirklich zu freuen, ist bereits auf dem richtigen Weg.“