Zwei in einem Bett voll Wanzen
BUCHBESPRECHUNG / MIR GING EINE NEUE WELT AUF
09/03/12 Spendabel war er, der „Kini“. Dafür, dass ihm Oberammergau eine Separat-Vorstellung der Passion gewährte, richtete Ludwig II. für Mitwirkende auf Schloss Linderhof einen Empfang aus. Jeder Spieler erhielt einen Löffel aus Silber, der Judas-Darsteller bekam einen aus Blech.
Von Hans Gärtner
Die Gemeinde Oberammergau sollte sich an einer vom König gestifteten Kreuzigungsgruppe erfreuen. Was nur eingeschränkt möglich war, weil zwei Steinmetzen der Transport der 40 Zentner schweren Johannes-Figur den Ettaler Berg hinauf das Leben kostete.
Soviel Kreuz die Oberammergauer seit Anbeginn ihrer Gelübde-Einlösung mit dem Spiel vom Leiden und Sterben Christi auch hatten – das fromme Theater spülte ihnen eine Menge Geld in die Kasse. Die Passions-Pilger kamen in Scharen. Könige und auch das gut situierte Volk. Es ließ sich karren oder einfliegen. Anfangs gab`s noch keine Hotels, die dem Anspruch reisender Herrschaften genügten. So quartierte sich Ludwig Ganghofer mit Spezi bei einem Herrgottschnitzer ein, bei dem es eng herging: Die zwei mussten sich ein Bett teilen. Und das war voller Wanzen.
In diesem mit alten Ansichtspostkarten und Stichen geschmückten Buch ist manche lustige Geschichte zu finden. Das macht es allein schon lesenswert. Der Autor kann zwar mit Zahlen und Fakten aufwarten, aber auch anschaulich erzählen. Da treten tüchtige Frauen auf den Plan wie Kathi Kobus, Wirtin des Schwabinger „Simpl“, die 1908 eine zur Zwangsversteigerung angestandene Jugendstilvilla in Wolfratshausen kaufte, um sich fürs Alter abzusichern. Sie nannte das schmucke Haus „Kathis Ruh“, das, wie sie „ihren“ Joachim Ringelnatz dichten ließ, „wunderbar, geheimnisvoll / Und sehr gemütlich seien soll“. So kamen sie alle, die Dichter und Denker aus dem nahen München: Halbe und Wedekind, Queri und Mühsam samt Geliebten und Spezis, mit Kind und Kegel.
Doch erlitt die resolute Kobus ebenso Schiffbruch wie die Isartalbahn, die einst den gewerblichen Flößern das Wasser abgegraben hatte und (von den Nazis) umfunktioniert wurde. Heute fährt, „eine leistungsfähige S-Bahn“ ins Isartal und bringt die Massen aus München in eine der schönsten Gegenden des Oberlandes: an den Starnberger See, in den Königswinkel, ins „Blaues Land“, in den Chiemgau.
Seit 1828 der Münchner Maler Max Haushofer die erste „Künstlerkolonie“ auf der Fraueninsel gegründet hatte, riss der Strom derer nicht ab, die der Landschaft ums „Bayerische Meer“ die farbigsten Seiten, in Öl auf Leinwand, abgewannen. Auf Exter und Beckmann, Wopfner und Raupp, Slevogt und Trübner folgten Felix Dahn und Morgenstern, die sich den Chiemgau als Sommerfrische oder Bleibe erkoren. Die Münchner benutzten die Eisenbahn Richtung Salzburg, die ab 1860 auch in Prien anhielt. 27 Jahre später fuhr man bequem von Prien nach Stock, wo die Raddampfer anlegten. Das „Bockerl“ fährt, nostalgisch wie es der Tourist mag, noch immer. Die Zeiten der Gemütlichkeit des Reisens, ob nach Altötting, Reichenhall, Salzburg oder zum „Brettlrutschen“ nach Bayrischzell, hatten auch ihre herben Aspekte. Stankiewitz erzählt auch von den Schattenseiten des Massentourismus, vom Sterben mancher Familienunternehmen, vom falsch verstandenen Kur- und Kulturtourismus, den Plackereien, denen Bauern und Bedienstete ausgesetzt waren und davon, wie schwer es ein Kurdirektor heute hat, seinem Unternehmen den Stempel des Originellen aufzudrücken. Heute nehmen ja viele nicht mal mehr den „Wellness“-Gedanken ernst. Allüberall gibt`s Spaß im Spa.
Auffällig: wie stark sich heutiger Tourismus von Gedenktagen leiten lässt. Der 125. Todestag Ludwigs II. lockte 500.000 Besucher nach Herrenchiemsee.