Bereit zum Dirndflug?
HINTERGRUND / SALZBURGER TRACHTEN
05/09/14 Ziemlich ausgeschlossen, dass einem eine Dame im Dirndl-Modell „Salzburger Marktbürgerin“ an einem Donnerstag Vormittag auf der Schranne über den Weg läuft. Auch eine Begegnung auf dem Grünmarkt am Samstag ist eher unwahrscheinlich.
Von Reinhard Kriechbaum
Eher wird ihrer wohl bei einer Trachtenhochzeit ansichtig, oder gar – wer weiß – bei einem der Dirndlflug-Events, die es unterdessen vielerorts gibt. Aber es ist eher anzunehmen, dass es der „Salzburger Marktbürgerin“ für eine so feucht-fröhliche Dummheit das kostbare Kleidungsstück schade ist. Für den Dirndlflug, so er schon sein muss, sollten fernöstliche Erzeugnisse gut genug sein.
Die Farben für die „Bramberger Smaragd-Festtracht“ dürften auf die dort zu findenden Schmucksteine anspielen, wogegen die „Zederhauser Joppe“ mit ihrem Grau und der grünen Band-Einfassung daran erinnert, dass es aus dem Lungau nicht weit ist ins Land des Erzherzog Johann. Die Dame im „Straßwalchner Wintergwand“ dürfte sich in ihrem satten Braun auch bei ansehnlicher Schneelage vom Unter- und Hintergrund gut abheben.
Was eint Volkslied und Tracht? Die Urheber von Volksliedern seien, so haben wir noch im Musikunterricht gelernt, namentlich nicht greifbar – weil’s eben Volkslieder sind. Stimmt überhaupt nicht. Für Dutzende Lieder kann man bei entsprechender Recherche die Schöpfer der Melodien und Texte ausfindig machen. Die Tracht ist nicht weniger ein Produkt, das einmal konkret „aus der Taufe“ gehoben wurde. Auch Dirndlkleider sind in ihrem konkreten Schnitt, mit ihrer Ausstattung mit Knöpfen, Schnürhaken und dergleichen irgendwann und irgendwo von jemandem „erfunden“ worden.
Wenn nun in einem vom Salzburger Heimatwerk publizierten, von dessen Leiter Hans Köhl herausgegebenen Buch „Salzburger Trachten“ beschrieben werden, versteht sich also von selbst: Das ist nicht Kleidung, die seit Jahrhunderten von Bauern getragen wird. „Eine Bestandsaufnahme von rund einhundert regionaltypischen Trachten aus allen Salzburger Gauen, wie sie von breiten Bevölkerungsschichten im 21. Jahrhundert mit Stolz und Freude getragen werden“: So steht es hinten auf dem Bucheinband. Die Schöpferinnen und Schöpfer (ein paar wenige Quotenmänner) der Dirndlmodelle sind aufgelistet. Im einführenden historischen Essay arbeitet Hans Köhl sehr genau heraus, dass hinter Tracht erstens schöpferische Leistung und zweitens Absicht stecken.
Der ideologische Ballast, den dem Dirndl und anderer Trachtenkleidung in der Nazi-Zeit aufgefrachtet wurde, ist längst abgeworfen und einem schöpferischen Vielerlei gewichen. Das Verhältnis zwischen Moden und kollektiv sich niederschlagendem Zusammengehörigkeitsgefühl ist ambivalent und konkret schwer auszumachen. Das Dirndltragen ist jedenfalls eine Bewegung, die alle Gesellschaftsschichten erreicht hat. Es gibt keinen Anlass mehr, zu dem man kein Dirndl tragen könnte.
Das Buch „Salzburger Trachten“ versteht sich auch als Anleitung, um in einer Zeit des Alles-ist-Möglich nicht allzu weit daneben zu hauen beim Dirndl-Erwerb. Es ist eigentlich eine „Trachten-Mappe“ – aber dieses Wort hat seit der NS-Zeit einen gar üblen Beigeschmack. In Wirklichkeit hat es solche Modell- und Muster-Bücher schon viel früher gegeben. Ab 1910 gab es in Salzburg Bestrebungen, für einzelne Ortschaften „echte“ Trachten mit regionalspezifischen Rückbezügen zu entwerfen.
„Es war höchst an der Zeit, für Salzburg eine Dokumentation über Salzburger Dirndln und Festtrachten unserer Zeit zu erarbeiten. Die Trachtenmappen aus dem vergangenen Jahrhundert sind längst vergriffen und entsprechen auch nicht mehr dem gegenwärtigen Anspruch“, so Hans Köhl. Heimatwerk, der Landesverband Salzburger Heimatvereine und das Referat Salzburger Volkskultur haben im Vorfeld eine Trachtenerhebung durchgeführt. Vereinstrachten (etwa der Blasmusikkapellen oder Schützen) wurden im Buch nicht berücksichtigt.
Mit foto-technischem Raffinement sind die gezeichneten Figurinen für die skizzenartigen Buchillustrationen „angezogen“ worden. Blasse Hintergründe sollen die lokale Rückbindung andeuten. Das unterscheidet das Buch „Salzburger Trachten“ doch sehr deutlich von der Flut sich anbiedernder Publikationen, die bloß auf der Modewelle schwimmen und otisch eher der Werbefotografie und ihren unreflektierten Dekorationswelten huldigen.