Radikal schützen oder gerne leben?
KOMMENTAR
Von Reinhard Kriechbaum
16/05/13 Es gibt viele gute Gründe, Salzburg und insbesondere seine Innenstadt zu meiden. Studenten wissen das seit je her. Sie wohnen in Wels, Kirchdorf an der Krems oder Vöcklabruck, studieren die Woche über hier – und fahren am Wochenende, zum Weggehen, nach Linz.
Linz ist eben eine echte Stadt und man muss dort obendrein nicht mit Touristen um freie Wirtshausstühle raufen. Aber um den Tourismus geht es gar nicht so sehr. Die lesenswerte Stellungnahme der Halle1-Architekten Gerhard Sailer und Heinz Lang dröselt die Problemlage geradlinig und weitgehend unpolemisch auf. Das Geschäftemachen in und mit einer Altstadt, die auf den ersten Blich so aussieht wie echt (einen zweiten Blick riskieren die meisten Gäste ohnedies nicht), ist die eine Sache. In einer Stadt zu leben, eine völlig andere.
Linz hat eine wunderschöne Altstadt, zwischen Neuem Dom und Donau. Sie ist im Detail bei weitem nicht so wertvoll wie jene von Salzburg, und das dortige Schloss kann man bei bestem Willen nicht mit der Festung vergleichen. Wenn man am Linzer Hauptplatz die schmucken bürgerlichen Barockfassaden entlang schaut, sieht man zuerst ein paar Hitler-Bauten am Brückenkopf und dann gleich über die Donau das Design-Center. So lässt es sich mit Geschichte leben, so nahe kann sie einem im Alltag sein. Und so nah kann Gegenwart sein. Man pfercht in Linz nicht Beamte in eine ehemalige bischöfliche Residenz (wie bei uns im Chiemseehof und in einige Kaigassen-Häuser), sondern man hat ihnen ein Hochhausviertel unmittelbar beim Bahnhof gebaut. Das können alle leicht erreichen, sogar mit Öffis.
Es gibt keinen Grund, das Zeitgemäße auszusperren, und als „Bannmeile“ neben wirklich Schützens- und Erhaltenswertem braucht es meist keine hundert Meter als Pufferzone. Die Spannung macht Authentizität (und damit Glaubwürdigkeit) aus und nicht die imaginäre Käseglocke über der Altstadt. Aber es stimmt schon: Mit den Nächtigungszahlen hält Linz nicht mit, einfacher ist es Touristik-Manager an der Salzach zu sein.
Ein anderer Aspekt: Auch „Altstädte“, seien sie noch so gut erhalten, sind ein Konglomerat aus Stilen. Die Festung: Mittelalter und Renaissance. Die Stiftskirche St. Peter: Romanik mit Rokoko-Ausstattung. Franziskanerkirche: Romanik/Gotik und ein Historismus-Turm („falsche“ Gotik). Waagplatz: Renaissance-Bürgerhäuser und Fassaden-„Kunst“ im Fahrwasser der NS-Ästhetik. Das Große Festspielhaus: eine ausgehöhlte, entkernte Fassade, Barock à la Potemkin. Und zwischen all dem steht das vermeintlich so „authentische“, barock-kirchliche Salzburg. Es ist alles Chimäre…
Was aber erst einmal alt ist (und seien es zwei, drei Jahrzehnte), wird als stimmig und zusammengehörig eingestuft: auch wenn ein paarhundert Jahre zwischen Nachbargebäuden Häusern und ihrer Dekoration liegen. Lamentiert ein Wiener oder gar ein Tourist noch übers Haas-Haus gegenüber den Stephansdom? Graz zeigte mit dem Kunsthaus, wie man in einem Baukomplex gleich drei markante Stile zusammenbinden kann: ein Barockpalais, ein Eisen/Glas-Gebäude aus der „Eiffelturm-Zeit“ und eben die blau Bubble mit den Noppen. Anregende Bau-Kunst.
Nun wird es also künftig einen „weisungsfreien Weltkulturerbe-Beauftragten“. Es gibt Jobs, um die man keinen beneidet. Ob sich „weisungsfrei“ und „Weltkulturerbe-Beuftragter“ nicht per se widersprechen? Wie er es auch angeht, er wird als beamteter Kompromisse-Finder der programmierte Watschenmann für alle Seiten sein. Aber so, wie der neue Job beschrieben ist, hat für ihn ohnedies der Buchstabe des Gesetzes obenauf zu stehen.
Hoffentlich ist er nicht ein typischer Salzburger: einer, der sich brennend zur Altstadt bekennt, in einem der Schlafdörfer im Speckgürtel der Stadt lebt und am Samstag doch eher in den Europark fährt als in die Innenstadt.