„Braune“ Tresterer?
STICH-WORT
Von Reinhard Kriechbaum
28/02/12 Eigenwillige Querelen machen seit Tagen die Runde durch die Medien. Der Vorwurf: Pinzgauer Tresterer-Vereine verbreiteten „braunes“ Gedankengut auf ihren Websites. Die Tresterer aus Stuhlfelden und Zell am See weisen das natürlich weit von sich. Jene Leute, die Bräuche praktizieren, tun dies im Regelfall aus Freude am Tun. Kaum jemand denkt ernsthaft über die Herkunft des jeweiligen Brauchs nach, und politische Reflexion ist schon gar nicht angesagt. Wer heutzutage auf den Maibaum klettert oder um ihn tanzt, sinniert nicht darüber, dass dieser Brauch von den Nationalsozialisten vehement vereinnahmt wurde.
Das Wort „Brauchtum“ gilt in Volkskunde-Kreisen heute als politisch unkorrekt, eben weil es eine Nazi-Wortschöpfung ist. Auf der Suche nach dem arischen Menschen war die Volkskunde eine politisch vereinnahmte Wissenschaft. Und was die österreichische Beteiligung anlangt, spielt Salzburg eine nicht unwesentliche Rolle. Richard Wolfram, ein Nationalsozialist der allerersten Stunde, wurde hier 1938 Leiter der „Lehr- und Forschungsstätte für germanisch-deutsche Volkskunde“. Diese Forschungssparte wurde von der Nazi-Kulturpolitik für so wichtig eingeschätzt, dass sie SS-Leuten unmittelbar unterstand. Die „wissenschaftliche“ Aufgabe: Bräuche nach Möglichkeit so zu deuten, dass man sie als „uralt“ und tunlichst vor-christlich einstufen konnte. Germanische Wurzeln hineinzudeuten, das war fortan erste Pflicht der Wissenschafter.
Richard Wolfram hat die Vorgaben hundertprozentig erfüllt und eine famose Karriere gemacht: Er wurde 1939 Lehrstuhl-Inhaber für germanisch-deutsche Volkskunde an der Universität Wien und hatte als SS-Untersturmführer die Aufgabe, „den Geist der Schutzstaffeln in die deutschen Universitäten hineinzutragen“, wie Albert Ottenbacher für das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes recherchiert hat. Nach dem Krieg war zwar längere Forschungspause für Wolfram – aber 1961 war er wieder Ordinarius in Wien. Er gilt vielen bis heute als „Vaterfigur“ der Volkskunde hierzulande.
Gegen diese dunkelbraune Altlast haben heutige Volkskundler zu kämpfen. Ulrike Kammerhofer, die Leiterin des Salzburger Landesinstituts für Volkskunde, ist eine der Galionsfiguren einer politisch reflektierenden Generation von Forschern, die mit bewundernswertem Durchhaltevermögen in den alten wissenschaftlichen Wunden rühren. Notwendig, befinden die einen. Ungebetene Einmischung und Wichtigtuerei sagen jene, die sich ihre frei erfundenen keltisch-germanischen Brauch-Traditionen nur ungern nehmen lassen.
Womit wir wieder bei den Trester-Tänzen wären und bei dem traditionell angespannten Verhältnis zwischen dem von Ulrike Kammerhofer geleiteten Salzburger Landesinstitut für Volkskunde und einigen Salzburger Brachtumsvereinen. Im Salzburger Landesinstitut für Volkskunde hütet man den Nachlass von Richard Wolfram wie eine heiße Kartoffel. Viele regionale Brauch-Apostel täten sich am liebsten bekreuzigen, wenn sie den Namen Kammerhofer hören oder lesen.
Die Tresterer sind – nach aktueller wissenschaftlicher Erkenntnis – keineswegs Figuren, die mit ihrem archaisch wirkenden, musiklosen Springtanz die Frühlingssaat wecken (das wäre der „germanische“ Deutungsansatz), sondern sie sind Ergebnis einer kulturellen Wanderung von Faschingsfiguren aus Venedig und anderen oberitalienischen Stätten. Ableger aus dem Welschland zu sein, das kränkt die Pinzgauer Brauch-Macher zutiefst. Und mit ihnen die ebenfalls aus dem Pinzgau stammende Landesrätin Tina Widmann. Sie habe, wie man hört, am Montag (26.2.) bei einem Gespräch der verfeindeten „Parteien“, in dem man eigentlich Wogen glätten wollte, sehr eindeutig für die Innergebirgler Partei ergriffen.
Ist eine solche Sache überhaupt einen lokalen Kulturkampf wert? Dass die Diskussionen jetzt so unsäglich eskaliert sind, hat damit zu tun, dass der Brauch-Verein „Alpinia“ das Trestern gerne auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturguts sähe. Aus Pinzgauer Perspektive gibt es da einen Schönheitsfehler: Da trestern nämlich Stadt-Salzburger, wogegen die Tresterer doch angeblich typische Pinzgauer „Saataufwecker“ sind. Die Politik hat mehr als ein Wörtchen mitzureden: Ohne kräftigen Lobbyismus kommt man nämlich nicht auf die UNESCO-Liste.
Übertreiben sollten die Pinzgauer Tresterer freilich nicht: Die UNESCO-Leute sind derzeit sensibilisiert in Sachen Nazi-Gedankengut. Schon der leiseste Verdacht kommt nicht gut an. Nach dem (begründeten) Wirbel um den Burschenschafterball in der Hofburg wurde gar die gesamte „Wiener Ballkultur“ von der Liste des immateriellen Kulturguts eliminiert.