Dem Hasen den Kopf abhacken
UNIVERSITÄT MOZARTEUM / SCHAUSPIEL
10/12/10 Begonnen hat alles damit, dass Joseph Beuys dem toten Hasen die Bilder erklärte (am 26. November 1965 - wir erinnern uns). Am Donnerstag (9.10.) hatte das beinahe gleichnamige Stück „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt - nach Motiven von Lewis Carroll“ im Theater in der Druckerei Premiere in der anregenden Diplominszenierung von René Kalauch.
Von Magdalena Stieb
Alice erscheint mit Lockenkopf, roten Lippen und Blümchenkleid und verweist damit deutlich darauf, dass es hier nicht um eine Anreicherung des Klassikers mit neuer Bedeutung, sondern um eine Vertiefung der im Text von Lewis Carroll bereits angelegten Motive gehen soll. Dennoch komm Alice auf ihrer Suche im Wunderland, zu neuem Leben und findet auch in der Diplominszenierung von René Kalauch vorerst nur vernunftwidriges Spiel und absurde Scherze.
Noch vor Antritt der fantastischen Reise versetzt Regisseur René Kalauch sein Publikum gleich einmal in einen dunklen Raum. Schon zu Beginn seiner Inszenierung spielt Kalauch mit der Erwartung des Zusehers, die durch den Kontrast zwischen Szenen völliger Stille und langen Bewegungspassagen vor hastiger Hintergrundmusik immer wieder irritiert wird.
Spielerisch präsentieren sich die motivischen Anleihen aus „Alice’s Adventures in Wonderland“ dem so in Spannung versetzten Publikum. Unterfüttert wird das Ganze mit zahlreichen Anspielungen an die mit dem Titel der Inszenierung zitierte Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“. Die damit von Joseph Beuys vorgegebene Richtung des Stückes gerät dabei in „Kombination“ mit der „traditionellen“ Handlung des Romans.
Der Erzähler (Wolfgang Eibl), Lewis Carroll persönlich, unterhält Alice (Sabrina Tannen) mit dem Hasen. Er spielt mit ihr, schenkt ihr Süßes, legt ihr die entsprechenden Worte in den Mund, um der verrückten Teegesellschaft (Wilhelm Iben, Magdalena Klein, Eva Maria Sommersberg und Oliver Vilzmann) entgegentreten zu können.
Nachdem Lewis Alice mit der Anweisung „Tu was du willst!“ den bedeutungsschweren Apfel überreicht hat, kommt es zu einer entscheidenden Distanzierung von „Alice im Wunderland“: Von der lenkenden Macht des Erzählers zur freien Wahl befähigt, löst sich Alice von Vernunft und Fremdbestimmtheit, die ihr zuvor fast das entfesselnde Abbeißen vom symbolträchtigen Apfel „verleidigt“ hätte. Sie wird selbst zur altbekannten grausamen Herzkönigin, die dem Erzähler wieder und wieder den Kopf abhacken lässt.
René Kalauch ermöglicht es dem Zuseher, sich durch symbolhafte Hinweise oder Zitate aus dem Roman in bekannte Muster von „Alice im Wunderland“ ein- und damit im Stück zurechtzufinden. Er bezieht damit gekonnt und anspruchsvoll Altbekanntes auf wesentliche Elemente der Aktion von Beuys und seine Kunstauffassung. Das ist festgemacht am durchgängigen Motiv des (Beuyschen) Hasen, der am Ende auch den Kopf lassen muss.
Neben den anregenden inhaltlichen Reflexen auf die Kunst des Dadaismus wurden mit großem Feingefühl Licht und Bühnenbild eingesetzt. Vereinzelte Szenen in sanften Brauntönen und weichem Licht vermochten, an Photographien von Lewis Carroll erinnern zu lassen.
Die Inszenierung von René Kalauch ist eine erfrischend neugierige, humorvoll kreative Hommage an moderne Kunstkonzeptionen, für die eine Kindergeschichte der Absurditäten und Irrwege fruchtbar gemacht wurde: Mit Honig am Kopf können sich für Alice ganz neue Perspektiven eröffnen.