Verfahrene Kiste
SCHAUSPIELHAUS / JIM KNOPF
02/12/10 Der Heimat des „Ritter Kamenbert“, dem Standort des „Hausgeisterhauses“ oder dem Anlegeplatz von „Alex, der Piratenratte“ wird das derzeitige Kindermusical kaum in Ansätzen gerecht. „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ ist in der Musicalfassung bar jeglicher Poesie.
Von Heidemarie Klabacher
Wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, aus einem Buch wie „Jim Knopf“ eine Bühnenfassung machen zu wollen, sei an dieser Stelle lieber gleich gar nicht diskutiert. Der Produktion am Schauspielhaus zugrunde liegt jedenfalls das „Kindermusical“ von Christian Berg auf die Musik von Konstantin Wecker.
Die hinreißende poetisch-phantasische Geschichte vom schwarzen Findelkind Jim Knopf, Lukas dem Lokomotivführer und der Lokomotive Emma, die aus Platzgründen das winzige Inselkönigreich Lummerland verlassen müssen und auf eine abenteuerliche Reise gehen, wird zum puren Stationen- und, was schlimmer ist, zum salbungsvollen zeigefinger-pädagogischen Lehrstück degradiert.
Denn erstaunlicherweise ist alles da. Und - man weiß ja, dass die am Schauspielhaus das normalerweise können - es ist auch ziemlich viel Nettes dabei. Der Auftritt des Scheinriesen Tur Tur ist der einzige wirklich poetische Augenblick. Ein Scheinwerfer reicht, in dessen Licht der Schauspieler riesengroß erscheint, beim Näherkommen kleiner wird, um schließlich ziemlich harmlos, klein und einsam dazustehen: ein Schein-Riese in mehrfacher Hinsicht. Hier spürt man für kostbare Augenblicke die Kraft der Originalgeschichte - und auch die Kraft des Theaters, solche Bilder aus dem Kopf auf die Bühne zu bringen. Der Scheinriese Tur Tur müsste eine geradezu leitmotivische zentrale Rolle spielen, kommt aber auch nur als eine Station vor.
Das Ganze spielt in, um und auf einer Kiste, die zwar wirklich alle Stückerl spielt, letztlich aber doch ein Klotz am Bein der Phantasie ist: Ausstatterin Ragna Heiny hat eine echte Zauberkiste geschaffen, die vom Königsschloss, über den Kaufladen der Frau Waas bis zur Drachenhöhle alles in sich birgt. Inklusive Klingelknopf zum Palast des Kaisers von Mandala - pardon, der Kaiserin von China.
Im Reich der geraubten Prinzessin Li Si jedenfalls, das in dieser „Fassung“ nicht einmal Mandala heißen darf, sondern banal in China umgetauft wird, stoßen die Reisenden auf das reife Kindeskind Ping Pong: Es trägt mit seinen 368 Tagen zwar noch Windeln, ist aber sonst so klug, wie kaum ein Erwachsener in anderen Ländern. Die Zuschauer im Theater stoßen hier auf einige wenige Originalzitate. Und Ping Pong ist hinreißend lieb. - Wie überhaupt die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler alle zusammen für vieles entschädigen.
Sie dampfen als Jim und Lukas auf der freundlichen Lokomotive Emma im Kreis herum, spucken Feuer als Halbdrache Nepomuk, führen Tatze, Schwanz und Haupt des Drachen Frau Mahlzahn, sind streng als Kaiserin von China (grr - Mandala heißt das und die Bäume sind aus Glas und Kaiserin gibt es keine), sind böse als Bonze, erhaben als König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte, mütterlich als Frau Waas - und sind mit Feuereifer bei der Sache. Wenn auch hier längst nicht alles logisch ist, wie etwa das Sächseln der Frau Waas.
An ihnen liegt es dennoch nicht, dass die Produktion (Regie Caroline Richards) diesmal nicht abhebt. Es scheint eben doch Geschichten zu geben, die sich der Vereinnahmung entziehen. Gut so. Bleibt nur zu hoffen, dass den Kindern, die das Buch kennen, die eigenen Bilder im Kopf nicht ganz zerstört werden, und dass denen, die "Jim Knopf" noch lesen werden, die Kistenbretter den Zugang zu eigenen Bildern nicht auf Dauer vernageln.