Schwermut zum Quadrat
PHILHARMONIE SALZBURG / TOBIAS WÖGERER
03/12/15 Man traut sich was bei der Salzburger Kulturvereinigung: Erstmals widmet man ein Konzertprogramm allein Sergej Rachmaninow. Die Rechnung ging voll auf. Dank Tobias Wögerers engagierter Leitung der Philharmonie Salzburg und Olga Scheps als pianistischem Glanzpunkt.
Von Horst Reischenböck
Sein Landsmann und Komponistenkollege Igor Strawinski charakterisierte ihn spöttisch als „zwei Meter russische Wehmut“ und verspottete seine Kompositionen als „grandiose Filmmusik“. Schlecht deswegen? Mitnichten, vielmehr nach wie vor populär und vor allem wirksam, wie der Mittwochabend (2.12.) nachdrücklich bewies.
Gleich am Beginn stand das Zweite Klavierkonzert in c-Moll op. 18, ein Ohrwurm ähnlich jenem bekannten cis-Moll-Prélude, das Rachmaninow in der Publikumsgunst dermaßen abstempelte, dass er es liebend gerne gar nicht geschrieben hätte. Es gibt nur ein paar Werke, die ähnlich zupackend vom ersten Ton an aufhorchen machen – die Konzerte von Grieg, Tschaikowskys Erstling, Saint-Saëns' Nr. 2 und eben besagtes von Rachmaninow.
Dazu hätte sich niemand besser denn die noch nicht einmal 30jährige Olga Scheps als Solistin denken lassen. In Russland geboren und in Deutschland aufgewachsen, jüngst mit dem ECHO-Preis bedacht und absolut in der überbordend spätromantischen Tonsprache heimisch. Die – und das macht eben Rachmaninow nach wie vor groß – dennoch nicht ohne kalkulierte innere Konstruktionen auskommen kann, ja hier nahezu monothematisch auch muss. Ganz natürlich steigerte Scheps die Anfangsakkorde aus dem Steinway, um dann das ihr anvertraute Rankenwerk mit der weit schweifenden Melodik des assistierenden Orchesters zu verzahnen. Beispielsweise der berührend schön seitens des Soloklarinettisten „gesungenen“ Melodie im Adagio inmitten. Nur gelegentlich wäre mehr dynamische Zurückhaltung von Vorteil gewesen, etwa wenn Olga Scheps durch die überbordende Einsatzfreudigkeit der Paukerin akustisch zugedeckt wurde.
Was sie sonst noch so alles technisch locker drauf hat, stellte sie dann mit der rasanten Zugabe, dem abschließend hämmernden Precipitato aus Sergei Prokofjews 7. Sonate in B-Dur op. 83 unter Beweis. Blumen, wie sonst üblich, hätte sie sich absolut verdient!
Es wundert, dass Rachmaninows Erste Sinfonie einst gerade wegen ihrer „Modernität“ abgelehnt wurde und durchfiel. Speziell, wer dem nachfolgenden e-Moll-Schwesterwerk op. 27 lauscht: In Salzburgs Partnerstadt Dresden konzipiert, die Instrumentation dann auf Iwankowa, dem Landsitz von Rachmaninows Onkels, begonnen. Vier immer wieder schwermütig vollblütige Sätze, meist fast überlang gesponnen, in denen das Vorbild von Tschaikowskys Schicksalsmotiv anklingt, geprägt von breiten lyrischen Gedanken, die Wellen immer wieder neu steigernd, durchdrungen von latentem Pessimismus, bis es endlich im Finale doch der unüberhörbaren Seufzer genug sind. Nur das Scherzo bricht mit seinem wild dahin wirbelnden Streicherfugato die Stimmung auf.
Lange Zeit erlaubte Rachmaninow Striche. In diesem Konzert wurde die Symphonie, wie heute üblich, von der vor allem in den Holzbläser und Hörnern exzellent disponierten Philharmonie Salzburg ungekürzt dargeboten. Der Gastdirigent, der erst 24jährige Tobias Wögerer, hat das beeindruckende Klangfresko klug disponiert ausgebreitet, ohne den Großen Saal im Mozarteum bis an seine akustischen Grenzen zu fordern.