Chume, chum, geselle min
HAUS FÜR MOZART / CARMINA BURANA
16/11/15 Wie wäre es, wenn wir obiges Zitat einfach viel, viel öfter und großzügiger gebrauchten, anstatt zu lamentieren und den Migranten aus Syrien und anderen Ländern die „Dentes fredentes“, die gefletschten Zähne, zu zeigen? Zitate aus der „Carmina burana“.
Von Reinhard Kriechbaum
Es ließen sich gut einige passende Gedanken mehr aus dem mittelalterlichen Textkonvolut ziehen: Schließlich sind gut zwei Drittel der Benediktbeurer Handschrift das, was man in der Literaturwissenschaft „Vagantenlyrik“ nennt: Lieder von Herumziehenden. Von solchen, die manchen Zeitgenossen wenig geheuer und lästig waren. Aber auch sie waren eben so wenig Landstreicher wie das Gros der Flüchtlinge heutzutage, sondern gut ausgebildete Menschen.
Die Vaganten der „Carmina burana“ waren herumziehende Studenten (meist solche der Theologie), die sich die materielle Grundlage für das, was damals als Studieren galt, schlicht und einfach erbetteln mussten. Am Rande nur erwähnt: Carl Orff hat für seinen Klassiker mehr auf Frühlings-, Trink- und Liebeslieder gebaut. Es finden sich in der „Carmina burana“-Handschrift auch dutzendweise Texte, in denen mangelnde Freigiebigkeit als rechte Untugend beschrieben wird.
Wie gut das Geben am Sonntag (15.11.) zur Matineenstunde im Haus für Mozart funktioniert hat, davon wird das Mozarteumorchester als Veranstalter des Benefizkonzerts in den nächsten Tagen wohl berichten. Die Qualität dieses ausverkauften Konzerts legte eine ansehnliche Summe nahe, die dem Verein „Rettet das Kind“ für ein eigenes Programm für junge, unbegleitete Flüchtlinge zugute kommen wird.
Orffs „Carmina burana“ also in der durchaus spannenden Kombination von Mozarteumorchester (unter Ivor Bolton) und dem Chor des Musischen Gymnasiums: Rhythmisch wie am Schnürl hat das im Vokalen funktioniert, und man durfte auch annehmen, dass bei vielen jungen Leuten der Lateinunterricht gut anschlägt. Es war in Summe eine Aufführung mit Verve, in der man viel Text mitbekommen hat. Als die Sopranistin Laura Nicorescu mit ihren Liebesliedern an die Reihe kam, war das auch der Auftritt des Salzburger Festspiele und Theater Kinderchors, der sein „Amor volat undique / captus est libidine“ so unschuldig wie lupenrein (und wie die anderen Einwürfe auch mit toller Deklamation) eingebracht hat.
Ein Glücksfall für dieses Werk ist der Bariton Günter Haumer, der selbst in den polterndsten Nummern geschmeidige Eleganz und ein helles Leuchten im Timbre durchzuziehen weiß. Und wie viel Rubati das „Omnia Sol temperat“ verträgt! Ivor Bolton hat sehr genau differenziert zwischen den Nummern, die rhythmische Geradfinigkeit verlangen und solchen, in denen die Aura sehr von gediegener Klanglichkeit und schmeichlerischen Tempi bestimmt wird.
Der Countertenor Markus Forster hatte einen schönen, auch pantomimischen Auftritt als flügelschlagender Schwan. „Mise, miser! / modo niger / et ustus fortiter!“ Da wäre schon wieder ein Ansatzpunkt, um über dunkle Hautfarbe nachzudenken...