Mahlers Nullte oder Rotts Erste?
HINTERGRUND / DER KOMPONIST HANS ROTT
06/11/15 Eine Rarität wird am kommenden Sonntag (8.11.) in der Zweiten Sonntags-Matinee des Mozarteumorchesters im Großen Festspielhaus zu hören sein: Die erste und einzige Symphonie von Hans Rott, einem Wiener Komponisten, der nur 25 Jahre alt geworden ist.
Von Reinhard Kriechbaum
Der historische Verdienst von Hans Rott (1858-1884): Er hat quasi die „Nullte Symphonie“ von Gustav Mahler geschrieben, den Missing Link eben zwischen Bruckner und Mahler. 22 Jahre alt war er damals. Als Kompositions- und Orgelstudent (von Bruckner) teilte Hans Rott mit Mahler die Studentenbude. Vor Mahler ist Hans Rott „aufgebrochen in die Welt der Militärsignale“, schrieben wir nach der Aufführung des Stücks im Festspielsommer 2011 durch das RSO Wien unter Hans Meister. „Das Wunderhorn wird zwar noch nicht ausgegossen, aber doch so weit schief gelegt, dass manche Melodiefloskel heraus fließt.“
Wer die Festspielaufführung vor vier Jahren versäumt hat, kann die Werkkenntnis nachholen. Nun spielt das Mozarteumorchester unter der Leitung des jungen deutschen Dirigenten Constantin Trinks.
Hans Rotts Leben endete in einer Irrenanstalt. Diagnose: Verfolgungswahn. Eine unglückliche Liebesbeziehung hatte dem Hypersensiblen den Rest gegeben und ihn durchknallen lassen. Der 25jährige glaubte, Brahms wolle einen Zug mit ihm, dem Jungkomponisten, in die Luft sprengen.
In der Studentenbude werden er und Mahler wohl auch viel geredet haben darüber, wie es mit der Symphonik weitergehen könnte – in einer Zeit, da Brahms und Bruckner die Chefideologen der Gattung waren und ihre Apologeten einander spinnefeind. Wagner, Brahms, Bruckner, Hugo Wolf, Max Reger – Ingredienzien derer Musik tauchen auf in dem Werk, in Floskeln und Andeutungen, aber auch in sehr konkreten Zitaten.
Rotts Symphonie entstand 1880. 110 Jahre später tauchte das Manuskript in der Österreichischen Nationalbibliothek auf. Es war ein viel beachtetes Ereignis, als dieses Werk ab 1990 durch die internationalen Konzertsäle wanderte: „Mahlers Nullte oder Rotts Erste?“, fragte ein Kritiker nach der Erstaufführung in Wien. Vor allem das Scherzo gleicht jenem aus Mahlers „Erster“ wie ein Zwilling. Ein Herz und eine Seele waren sie wohl nicht wirklich. Mahler bezeichnete seinem Kommilitonen als einem „Rostbratenkomponisten“. Mahler, der Radikale, befand: Ein Komponist müsse mit Quargeln auskommen...
„Was die Musik an ihm verloren hat, ist gar nicht zu ermessen: zu solchem Fluge erhebt sich sein Genius schon in dieser Ersten Symphonie, die er als zwanzigjähriger Jüngling schrieb und die ihn - es ist nicht zu viel gesagt - zum Begründer der neuen Symphonie macht, wie ich sie verstehe.“ Das schrieb Mahler fünfzehn Jahre nach Rotts Tod an eine Freundin. „Allerdings ist das, was er wollte, noch nicht ganz erreicht. Es ist, wie wenn einer zu weitestem Wurfe ausholt und, noch ungeschickt, nicht völlig ans Ziel hintrifft. Doch ich weiß, wohin er zielt. Ja, er ist meinem Eigensten so verwandt, dass er und ich mir wie zwei Früchte von demselben Baum erscheinen, die derselbe Boden gezeugt, die gleiche Luft genährt hat. An ihm hätte ich unendlich viel haben können und vielleicht hätten wir zwei zusammen den Inhalt dieser neuen Zeit, die für die Musik anbrach, einigermaßen erschöpft.“
Später ist Gustav Mahler deutlich schweigsamer geworden, was Hans Rott betrifft. Und so ist der Jugendfreund rasch von der Geschichte vergessen worden. In Kurt Blaukopfs Mahler-Biographie „Zeitgenosse der Zukunft“ kommt er gerade in einem Nebensatz vor. Und um die Erste Symphonie, den Sensationsfund des Jahres 1990, ist es längst wieder sehr, sehr ruhig geworden.