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Satt kolorierte Katechismusbildchen

SONNTAGSMATINEE / THE DREAM OF GERONTIUS

02/03/15 Nichts, aber schon gar nichts kann schief gehen, wenn einer wie er sich aus dem Leben verabschiedet, mit Gott und der Welt (und also: mit sich selbst) versöhnt, wohl vorbereitet und voller Zuversicht auf ein vielversprechendes Jenseits: „The Dream of Gerontius“ in der Sonntagsmatinee (1.3.) des Mozarteumorchesters.

Von Reinhard Kriechbaum

Wahrscheinlich ist kein Lebensende jemals so schön, so üppig beschrieben worden wie das Ableben des Herrn Gerontius, wie es Edward Elgar 1900 in seinem in Salzburg bisher wahrscheinlich noch nie aufgeführten Oratorium in spätromantischen Wunderklang gefasst hat. Fast erwartet man Puccini nach einer auffälligen Melodie im langen Orchestervorspiel, aber dann kommt doch nicht Engelsburg und „E lucevan le stelle“, sondern wir finden uns am Totenbett des in strahlenden juvenilen Tenor (Allan Clayton) dem Jenseits entgegen strebenden Gerontius.

Ein bisserl mulmig wird es ihm in dieser letzten (halben) Stunde, aber da sind ja die Freunde, die ein Kyrie anstimmen. Und das einschlägige Katechismus-Wissen haben Gerontius und seine Freunde sowieso verinnerlicht: satt gelebte Ars moriendi.

Die solistisch-vokale Fassung kommt in puccineskem Fluss daher, während es im Orchester durchaus vernehmbar, wenn auch unaufdringlich wagnert. Diese Musik, dieses Stück ist Ivor Bolton spürbar ein Herzensanliegen. Das war wunderbar geprobt, und Bolton hat das Mozarteumorchester aufs Akkurateste die dramaturgischen Linien entlang geführt: spätromantische Gestik, aber ganz ohne gekünsteltes Aufplustern. Vor allem: Im Klangbild so licht und leicht auch im Tutti, dass alles Sängerische sich wie selbstverständlich ohne alles Forcieren ausbreiten konnte.

Das Sterben macht nur ein Drittel des anderthalbstündigen Werks aus: So richtig spannend wird es, wenn der Mezzosopran-Engel die Regie übernimmt. Bisher war er Schutzengel, jetzt ist diese Mission beendet, „in seiner hohlen Hand“ trägt er die (durchaus gesprächige) Seele des Gerontius von hinnen nach dannen. Der Text von John Henry Newman hat was: Da entstehen vor den Augen und Ohren der Zuhörer (sofern sie ihr Religionswissen noch aus vorkonziliaren Religionsbüchern erworben haben) all jene post-nazarenischen Bilder, in denen die (Glaubens-)Welt noch so klar und übersichtlich gefasst war.

Da geht’s vorbei am Höllenschlund, wo die Dämonen nicht geizen mit selbstbewusstem Bös-Sprech. Wer übrigens die Fuge immer schon für eine (trotz Bach’scher Verhimmlischung) durch und durch diabolische Erfindung gehalten hat: In dieser Episode findet er sich bestätigt wie nur. An dieser Stelle ist ein Lob auf den diesmal mächtig besetzten Salzburger Bachchor zu singen. Was „The Dream of Gerontius“ auszeichnet, ist ja das Herauswachsen aus der englischen Chortradition. Die Partitur hält süffige, harmonisch eindrucksvolle Sätze bereit. Die muss man nur so homogen und schlank artikulierend singen wie eben der Bachchor. Vor allem ist er in diesem zweiten, ausufernden Oratorienteil ja als „Chor der engelgleichen Wesen“ im Einsatz. Je näher dem göttlichen Thron, umso weniger spannend (Unendlichkeit und Dramaturgie sind eben einander widersprechende Dinge), aber umso schöner…

Konditionsstark und wundersam im Lageausgleich hat der Tenor Allan Clayton seine Riesenrolle gestaltet. Der Bass Robert Hayward war in eigentlich zwei Partien angetreten: Als Priester am Sterbebett ist er eher in Baritonlage gefordert und hat da metallenes Timbre von hoher Überzeugungskraft eingebracht. Dann, im Jenseits, ist er der Engel des Todes. Da ist Schwärze im Organ gefordert, und auch das löste Robert Hayward überzeugend ein. Überhaupt: Im Verein mit der ebenfalls äußerst exakt deklamierenden Mezzosopranistin Sarah Connolly ein handverlesenes Solisten-Trio.

Wie die Sache ausgeht? Es gibt keinen Grund zum Übermütig-Werden, selbst einem so vorbildlichen Christen wie Gerontius bleibt das Fegefeuer nicht ganz erspart. Eine Art purgativer Routinebehandlung wohl. Ja, das waren schöne Zeiten, als geistliche Poeten, Komponisten und wohl die Kirche selbst noch an das Fegefeuer geglaubt haben.

Schade, dass diese Aufführung nicht mitgeschnitten worden ist. Eine CD mit diesen wundersam musikalisch illustrierten Andachtsbildchen, noch dazu in einer Interpretation ohne jede Schwachstelle – die täte sich manch einer kaufen.

Bilder: Mozarteumorchester
Zum Vorbericht Der Alte und sein Weg in den Himmel

 

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