Hindemiths Spiel mit Tönen im Exil
BACHGESELLSCHAFT / FESTIVAL RECREATION
14/10/14 Den Tastentigern gehörten die letzten beiden Tage des kleinen Festivals „Recreation“ der Bachgesellschaft: Florian Birsak am Cembalo ackerte sich durchs „Wohltemperierte Clavier II“, Christopher Hinterhuber am Klavier durch Schostakowitschs Präluudien und Fugen op. 87. Tags davor gab es Hindemiths selten gespielten Zyklus „Ludus tonalis“.
Von Reinhard Kriechbaum
Das Fugen-Panorama von Schostakowitsch kennt man, und jenes von Bach sowieso. Die Verschränkung beider Werkfolgen drängt sich auf. Wie aber ist das mit Hindemith? Sein „Ludus tonalis“ ist viel weniger Tonarten-Spiel, und deshalb war es auch angebracht, diesem Zyklus von pianistisch reizvollen Stücken – in Summe fünfzig Minuten – einen eigenen Termin im Solitär der Universität Mozarteum zu reservieren.
Wie sah damals, 1942, die pianistische Perspektive aus für einen, der in die USA emigriert war? Hindemith, der sich gut zurecht fand in der Neuen Welt und bald eine Professur an der Yale University in der Tasche hatte, war zwar ein „Expressionist“, aber bei weitem kein Tonarten-Verleugner und Verweigerer in Sachen Tonalität. In den USA war er wohl mehrheitlich umgeben von europäischen Emigranten, die sich ihrerseits im bestehenden Dur-Moll-System einzurichten wussten.
Für Hindemith, der da in New Haven saß und damals auch seine „Unterweisung im Tonsatz“ herausbrachte, war es nicht absehbar gewesen, dass es nach dem Krieg in Good old Europe zu einem Bildersturm sondergleichen durch die serielle Musik kommen würde. Der sollte so gut wie alles Andersartige hinwegfegen. Damit kam auch Hindemiths „Ludus tonalis“, eine pianistischer Bestandsaufnahme der Epoche, vollkommen unter die Räder. Kaum ein Pianist tut sich dieses Werk heutzutage noch an.
Der Russe Alexej Zouev schon. Er war lange Zeit Student von Alexei Lubimov am Mozarteum und ist schon so etwas wie Wahl-Salzburger. Am Freitagabend (10.10.) hat einen doch überraschend lohnenden Klavier-Kosmos erschlossen. Fazit: Ewig schade, dass „Ludus tonalis“ nur mehr dem Titel nach in Musikgeschichtsbüchern, nicht mehr aber im Konzertleben vorkommt.
Zouev nähert sich der Materie absolut vom Handwerklichen aus. Den pianistischen Holzschnitt-Vorlagen, die Hindemith anbietet, gewinnt er motorisch kräftige Wirkung ab. Auf dieser Basis, einem durchaus virtuosen und entsprechend wirkungssicheren Zugriff, setzt Alexej Zouev das eigentliche Anliegen Hindemiths um: Jede Fuge ist quasi eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Temperamenten, Stimmungslagen. Um die Tonartenabfolge geht es nicht. Die verbindenden Interludien wiederum sind neue Standortbestimmungen althergebrachter Formen. Ein Neu-Deklinieren von Klavier-Vokabeln, wenn man es so sagen will. Da feiert das gute alte Salonstück fröhliche Urständ. Eine Pastorale wiegt sanft im Dreier-Rhythmus. Und ein Marsch wird – wir sind mitten im Krieg! – zu einer Parodie, die man jederzeit Schostakowitsch unterschieben könnte.
Da macht das Zuhören also schon wegen der historisierenden Brechungen, wegen dem latent über dem Alten schwebenden Neoklassizismus ziemlich viel Vergnügen. Und Zouev lockt obendrein viel Melodiosität hervor. Da hätte man anfangen können, Hindemith zu mögen.