Im Russland der Gegensätze
SALZBURGER KAMMERMUSIK FESTIVAL
20/06/14 Am zweiten Tag des 4. Salzburger Kammermusik Festivals zogen russische Klänge in den Solitär ein. Das Borodin Quartett und das Delta Klavier Trio präsentierten dem Publikum große Gegensätze, unbändige Melodien und mehr oder weniger spannende optische Inszenierungen.
Von Stefan Reitbauer
Beinahe heimlich und schüchtern betreten Ruben Aharonian, Sergei Lomovsky, Igor Naidin und Vladimir Balshin das Podium. Umgeben von grünen Bäumchen, die wie überdimensionale aufgespießte Pistazieneiskugeln im Raum stehen, beginnen die vier Musiker des Borodin Quartetts ebenso unauffällig zu musizieren. Alexander Borodins Streichquartett Nr. 2 D-Dur erklingt. Man hat den Eindruck, es habe jemand den Radioapparat aufgedreht, so verstohlen agiert das musikalische Personal zu Beginn. Technisch perfekt und vollendet in der Intonation erklingen Allegro und Scherzo, sauber abgestimmt und mit großem (unsichtbarem) Pathos genießt man am besten mit geschlossenen Augen das wohlbekannte Notturno. Jeder Triller sitzt. Einfach perfekt, möchte man meinen. Auch das Finale im Andante und Vivace tadellos wie eine ausgefeilte Studioaufnahme.
Es ist erstaunlich, dass der gelernte Arzt und Professor für Chemie, Alexander Borodin, neben seinen Brotberufen derartig wohl konstruierte und schöne romantische Musik zu komponieren vermochte. Das verdient tatsächlich Respekt. Man fühlt sich durchaus wohl im Russland des 19. Jahrhunderts, Bilder eines abendlichen Diners im Zarenpalast nisten sich ein, majestätische Prunkräume – und im Hintergrund das Borodin Quartett. Es fällt schwer, dem Ensemble die Unscheinbarkeit ihrer Darbietung anzulasten, ist doch der Klang warm und rund, wie die Eiskugeln neben ihren Köpfen – ohne Ecken und Kanten.
Es wird rasch klar, was gefehlt hat, als das Delta Klavier Trio dem erschrockenen Publikum – noch etwas müde von den vier Borodin-Sätzen - den ersten Teil des zweiten Klaviertrios in e-Moll von Dmitri Schostakowitsch mit allerhöchster Intensität und Präsenz auf dem zerbrechlichen Silbertablett serviert. Nebulös durchscheinend wie Milchglas und reich an präzisen Konturen wie eine Landschaft nach einem Gewitter schwirren Flageolettklänge durch den Saal. Rasant und beinahe fröhlich schreitet der zweite Satz, man erkennt den Schostakowitsch der Jazz-Suiten, der spielerischen Tänze wieder. Darauf folgen Largo, Allegretto und Adagio und somit die wunderbarste Viertelstunde dieses Abends. Eindringliche Choräle geben dem Largo ein feierliches Antlitz, wohl aber eher die Feierlichkeit einer Trauerstunde. Schostakowitsch schrieb jenes zweite Klaviertrio nach dem Tod eines Freundes und in den Wirren und Leiden des zweiten Weltkriegs 1944. Schwingen im Largo Assoziationen einer tiefen und inwendigen Trauer mit, so verwandeln sich die Bilder im Kopf im letzten Satz rasch in eine morbide Totentanzszene. Eine jüdische volksliedhafte Melodie, die sich in unzähligen Tonlagen und Variationen in die Köpfe der Zuhörenden einnistet, bringt unheilvolle Ahnungen und makabre Bilder mit sich. Überraschend, dass das Trio in dialogischen Arpeggio-Akkorden in Dur endet. Man wird die blutigen Bilder nicht ganz los.
Das Delta Klaviertrio, in Salzburg gegründet, setzt sich aus den jungen niederländischen Musikern Vera Kooper, Gerard Spronk und Irene Enzlin zusammen. Mit jugendlicher Frische, mit vielen Ideen, frechem Witz und großem Tiefgang erfreuen sie das Publikum. Nicht enden wollender Applaus ist die Belohnung. Nicht nur, dass ihre große Bühnenpräsenz und ihr wunderbares Spiel eine Wonne sind, ihre Spielhaltung, die Blickkontakte, die sichtbare Kraftanstrengung, mit der beeindruckende Fortissimo-Passagen bewältigt werden – das alles macht den zweiten Teil des Konzerts zu einem absoluten Höhepunkt für alle Sinne. Man hätte gerne mehr gehört.
Nach der Pause noch einmal das Borodin Quartett mit dem Streichquartett Nr. 1 in D-Dur von Pjotr I. Tschaikowski. Perfekt intoniert, virtuos und professionell in allen Passagen. Der Cellist zeigte in Ansätzen so etwas wie Regungen. Mehr kann man dazu nicht sagen
Am Ende bleiben Eindrücke berührender und wilder Klänge, von Lebendigkeit und ernster Versteinerung. Ein Abend der Gegensätze, aber vor allem ein Abend klanglich vollendeter russischer Kammermusik.