Von lärmender Lustbarkeit und stillem Genuss
BACHGESELLSCHAFT / VIAGGIO BAROCCO
02/05/14 Europäische Barockmusik – von der Frühphase der Epoche bis zur Empfindsamkeit auf der Schwelle zur Klassik: eine barocke Frühlingsreise in der Pfarrkirche Mülln, mit Dorothee Oberlinger, Vittorio Ghielmi und Florian Birsak.
Von Stefan Reitbauer
Eine Auswahl aus den „Couplets des Folies“ von Marin Marais zu Beginn des Programms gibt ein ideales Charakterbild des zu erwartenden barocken Klangspektakels ab. Scheint dem Treiben der solistischen Blockflöte zuerst noch relative Harmlosigkeit innezuwohnen, wird bald klar, dass dem zügellosen Schabernack, den zaub'risch bunten Tongirlanden an diesem Abend niemand mehr Einhalt gebieten wird können. Las Folías, les Folies d´Espagne oder la Follia gehörten zu den beliebtesten Variationsmodellen des Barock. Etymologisch ergeben sich Übersetzungsvarianten von „lärmender Lustbarkeit“, „übermütiger Ausgelassenheit“ bis hin zu „Verrücktheit“ oder „Wahnsinn“. Später am Abend wird Florian Birsak am Cembalo seine überbordende Spielfreude an den „Variationes auf die Folies d'Espagne d-Moll“ von Carl Philipp Emanuel Bach zu Gehör bringen.
Vittorio Ghielmi an der Viola da Gamba berührt mit „Les Voix Humaines“ von Marais und „La Leclair“ von Forqueray. Die gefühlvolle und zu keinem Zeitpunkt zufällige Differenziertheit an diesem so komplex und koordinativ aufwendig zu spielenden Instrument ist schlicht beeindruckend und wunderbar anzuhören. Bei den Soloauftritten von Dorothee Oberlinger und Vittorio Ghielmi beherrscht eine beseelte Ruhe die Müllner Kirche, durch die nur mit dem letzten Abendlicht verwobene Bilder vom „Roi du Soleil“, von barocker Lebenslust und höfischem Treiben aller Spielarten durch den Raum huschen. Man kann sich diesen provozierten Phantasiereisen im Kopf kaum entziehen.
Doch dann, wenn alle drei Künstler zugleich im Einsatz sind, gibt es ganz und gar kein Halten mehr. Dorothee Oberlinger spielt mit ihrem ganzen Körper, vor allem mit den Augen – unendlich schelmisch und sogleich zutiefst versunken. Doch schon das Ende eines langsamen Satzes lässt in ihrer Körperspannung das nahende Feuerwerk erahnen. Alleine technisch vollendetes Spiel wäre schön, in Kombination mit dieser authentischen, kraftvollen Ausstrahlung kann man sich Blockflötenspiel nicht wundervoller erdenken. Florian Birsak rast durch Corellis Sonate, begleitet sanft die Viola da Gamba und schafft es, in jeder Phrasengestaltung seine ganz persönliche Note der Interpretation einfließen zu lassen. Etwa in einer Triosonate d-Moll von Georg Philipp Telemann. Behände geleitet er Ghielmis Pardessus de Viole (beinahe an Bratschenklang erinnernd) und die Blockflöte durch die in Tempo und Virtuosität auf und ab wogenden Sätze.
Dorothee Oberlinger, Vittorio Ghielmi und Florian Birsak musizieren für das Publikum und erfreuen sich an der Freude desselben. Das scheint banal und allzu üblich – alle Anwesenden können diese schlichte Feststellung wohl in der intendierten Qualität bestätigen. Es ist der Genuss der höchsten Intensität und der halt- und grenzenlosen Virtuosität, der den Musikern und dem Publikum ins Gesicht geschrieben steht. Man möchte tanzen, hätte man nicht Bedenken, dass dies einen etwas unpassenden Eindruck hinterlassen könnte. Aber die Töne tanzen schamlos weiter und weiter – im Kopf und mit so manchem lauschenden Gast noch lange in die Nacht hinaus…
Das Konzert war der Auftakt zu einer Reihe öffentlich zugänglicher Veranstaltungen des ERTA-Kongresses, der bis Sonntag (4.5.) in Salzburg stattfindet – www.erta.at
Bilder: www.dorotheeoberlinger.de (1); „Blow up“/Fotostudio Schaffler & Friese (1); Wikipedia/Aryeh Oron (1)
Zum Vorbericht „Recorder“ ist nichts zum Musik-Aufnehmen