Charisma und Können
YOUNG CONDUCTORS AWARD
03/03/14 Das alljährliche Konzert-Wochenende des „Nestlé and Salzburg Festival Young Conductors Award“ in der dafür ein wenig zu großen Felsenreitschule brachte lohnende Begegnungen nicht nur mit den drei jungen Dirigenten der Endrunde, sondern auch mit jungen Solisten – und zum Teil mit Repertoire, das ansonsten in Salzburg leider kaum gepflegt wird. Der Preisträger heißt Maxime Pascal.
Von Gottfried Franz Kasparek
Der bereits viel im Bereich „Neue Musik“ tätige, erst 28jährige Franzose Maxime Pascal ist ein wahrer Pulttänzer. Doch schien es sich bei den mitunter leidenschaftlich erregt, mitunter clownesk wirkenden, meist den ganzen Körper umfassenden Bewegungen, mit denen der junge Mann die Camerata Salzburg anfeuerte, nicht um Show, sondern um persönliche Eigenart zu handeln.
Jedenfalls brachte der junge Feuergeist Karlheinz Stockhausens allerletztes und erstaunlich traditionelles Werk, eine 2007 am Tag vor dem Tod des Komponisten fertig gestellte, farbige Instrumentierung von fünf der Tierkreis-Stücke aus den 70er-Jahren, mächtig zum Leuchten. Der als „Taurus“ herumwandelnde Tubist sorgte für ein bisschen Performance und forderte die willig folgende Camerata sogar zu swingenden Jazztönen heraus.
In Mozarts Oboenkonzert beschränkte sich das Dirigat auf die achtsame Begleitung des mit spielerischer Brillanz und funkelnden Läufen auftrumpfenden Solisten Ramón Ortega Quero. Nach der Pause zeigte Pascal seine wahren Stärken. Denn Maurice Ravels wundersames Ballett „Ma Mére l’oye“ führte vor, was die Camerata alles könnte, würde sie öfter abseits des Stammrepertoires wirken. Das atmosphärische, feinste Impressionen malende, am Ende rauschhaft gesteigerte Stück hatte Charme, Eleganz und Klangsinnlichkeit. Detailtreue ließ den großen Atem nicht vermissen. Kein Wunder, dass das Finale wiederholt werden musste.
Ein ganz anderer Typ ist der 32jährige Brite Leo McFall, der tags darauf mit dem Mozarteumorchester musizierte. Der Haitink-Assistent und 1. Kapellmeister des Theaters Meiningen ist schon ein perfekter Kapellmeister, taktiert konzis und fordert ebenso energisch wie gefühlvoll ein, was er will. Hans Werner Henzes frühe „Sonata per archi“ ist für jedes Streichorchester eine große Herausforderung, so feingliedrig ineinander verzahnt sind die Variationenketten, so kunstvoll wird Neoklassizismus darin mit freier Tonalität verquickt. Anno 1958 war dies, samt unverfrorener Melodik, eine mutige Stellungnahme gegen den Serialismus. Heute ist es ein wahrer Klassiker der Moderne. Man muss dringlich fragen, weshalb Henzes Oeuvre kaum eine Rolle in Salzburger Programmen spielt. Das Mozarteumorchester könnte es mit Perfektion und Emotion spielen. Leo McFall empfiehlt sich nachdrücklich als sorgfältiger Gestalter. Als solcher leitete er auch Mark-Anthony Turnages „Lullaby for Hans“, eine liebevolle, geradezu romantische Verbeugung vor Henze. Joseph Haydns B-Dur-Symphonie Hob I: 98 würde, wie alle seine „Londoner“, eine wesentlich größere Besetzung vertragen, als die wieder einmal gewählte. Hatte Haydn in London doch rund die doppelten, nämlich etwa 65 Musiker zur Verfügung und seine Freude daran. Letztere hätte er freilich auch mit der subtilen Spielweise des Orchesters. Bis hin zum finalen Gag, wenn der bis dahin stumme Cembalist einen fröhlichen Kommentar abgeben darf, war das eine sehr seriöse, vielleicht ein Quäntchen zu ernste Wiedergabe.
Vor der Pause hatte der erst 19jährige polnisch-kanadische Pianist Jan Lisiecki das Sagen mit seiner herrlich jugendfrischen, in aller Virtuosität frei atmenden Klangrede, mit der er Mozarts die frühe Romantik einläutendes d-Moll-Klavierkonzert KV 466 gleichsam neu las. Ohne überflüssigen Tastendonner, sondern mit vitaler Rhetorik, ohne Gefühlsdrücker, dafür mit innigem Ausdruck, auch was die Brücken in die Zukunft schlagenden Beethoven-Kadenzen betraf. Dirigent und Orchester begleiteten ohne Fehl und Tadel. Der Jubel danach wurde mit einem so gar nicht sentimentalen, feinnervigen Chopin-Nocturne belohnt.
Am Sonntag am Nachmittag konnte das Symphonieorchester Vorarlberg das hohe Niveau erfreulich halten. Diesmal stand der 31jährige Franzose Victor Aviat um Pult - eigentlich der „jüngste“ der drei Finalisten, denn er hat erst 2010 eine schöne Karriere als Oboist gegen das Dirigieren eingetauscht. Luigi Dallapiccolas „Piccola musica notturna“, ein nettes südliches Nachtbild in jener Zwölftonart, die niemandem weh tut, wirkte ein wenig wie Alibi-Moderne. Danach übernahm Veronika Eberle mit Mozarts G-Dur-Violinkonzert KV 216 die Führung. Dirigent und Orchester reagierten mit bester Anpassung. Die Geigerin spielte mit wahrhaft edlem Ton, mit sehr wenig Vibrato, mit musikantischem Gusto in den Ecksätzen und vor allem mit einem berührend verinnerlichten instrumentalen Singen im Adagio. Da stellte sich etwas ein, das man mit aller Vorsicht als „Mozart-Glücksmomente“ bezeichnen kann. Veronika Eberle scheut sich nicht, die Musik gleichsam still stehen zu lassen – und immer bleibt der Spannungsbogen bestehen. Nach der Pause war dem in allen Gruppen hoch motivierten, sehr jungen und sehr weiblichen Orchester anzumerken, dass es den Végh-Schüler Gérard Korsten als Chef hat. Von dessen Arbeit profitierte Victor Aviat, der Beethovens 7. Symphonie reibungslos, schwungvoll und noch dazu auswendig abspulte. Nach einem derart fetzigen Finalsatz muss natürlich Jubel ausbrechen.
Die Jury mit Ingo Metzmacher an der Spitze hatte es wahrlich nicht leicht. Den Preis bekam, durchaus nachvollziehbar, der charismatische Maxime Pascal, der nun am 17. August bei den Festspielen mit dem Gustav Mahler Jugendorchester debütieren wird.