Wienerisches und Wahl-Wienerisches
MOZARTEUMORCHESTER / HEINRICH SCHIFF
16/12/11 Im Konzertsaal ist Schuberts Symphonien-Erstling (D-Dur D 82) leider nicht so oft zu erleben. Es verblüfft immer wieder, wie "fertig" und zudem urtypisch eigenständig Franz Schubert mit 16 Jahren bereits war.
Von Horst Reischenböck
Das zeigt sich nicht nur darin, dass zur Reprise im Kopfsatz auch die Einleitung nochmals zitiert wird. Auch, dass Schubert zusätzlich daraus noch das Seitenthema des Finales zog. Das hatte bis dato kein Kollege getan. Hohe Individualität genauso in den ausgeprägt romantischen Lyrismen, beispielsweise im Andante, die auch Konfliktsituationen nicht aussparen. Dem ersten Satz versagte Heinrich Schiff die Exposition.
Schiff, vor knapp einem Monat Sechzig geworden, ließ am Donnerstag (15.12.) im Großen Saal des Mozarteums dem einkomponierten jugendlichen Überschwang mitunter vom Blech her etwas gar knallig die Zügel schießen. Andererseits kostete er die tänzerischen Aspekte voller Hingabe aus und disponierte mit durchaus ökonomischen Gesten die geforderten Interaktionen zwischen den sowohl samtig wie an entsprechenden Stellen kernigen Streichern des Mozarteumorchesters und seinen Holzbläsern. Die spielten wie gewohnt prächtig auf.
Danach die 275 Takte des Fis-Dur-Adagios der unvollendeten "Zehnten" von Mahler, also ein quasi ein Endpunkt in der österreichischen Symphonik, in der Spieldauer nahezu identisch mit allen vier Schubert-Sätzen. Darin ist wie in einem Brennspiegel Mahlers so subjektives Schaffen, seine immense, ja überbordende Ausdrucksskala noch einmal gebündelt präsent. Emphatische aufgipfelnde Melodik, sarkastisch groteske Einwürfe, aber auch die tiefgehend emotional gesteigerte Eruption des dissonanten Neuntonakkords gegen Mitte des Satzes, der doch nicht in völliger Resignation erstirbt.
Trotz umfangreicherer Besetzung wirkte hier das Gesamtklangbild weit perfekter in sich abgerundet. Ohne die Saalakustik überzustrapazieren, formte Heinrich Schiff penibel alle gefordert dynamische Ausbrüche und er stellte gleichzeitig auch die solistischen Meriten, etwa jene des Konzertmeisters Frank Stadler, ins rechte Rampenlicht.
Nach der Pause keine weitere Sinfonie, sondern mit Johannes Brahms orchestralem Opus ultimum 102, dem Doppelkonzert in a-Moll, gleichsam ein Zwitter. Schiff hat den Cellopart darin oftmals selbst gespielt. Hier stand er nun konzentriert aufmerksam begleitend, genauso aber das Orchester aufstachelnd, der Geigerin Karen Gomyo und dem jungen Schweizer Christian Poltéra (seinem einstigen Cello-Schüler in Salzburg und Wien) zur Seite. Die beiden Solisten schenkten einander nichts, ganz im Gegenteil, sie stachelten sich virtuos und klangsinnlich gegenseitig auf En entsprechend groß war die Begeisterung der Zuhörer.