Der Volksmusik-Macher
HINTERGRUND / BUCH / TOBI REISER
02/12/11 „Und dann ist schon alles wieder gewesen, als ob nie etwas anderes gewesen wäre.“ Die Aussage von Tobi Reisers Stieftochter in einem Interview sagt viel über Vergangenheitsbewältigung auf Österreichisch. - Tobi Reiser hat hierzulande die Volksmusik-Spielregeln gemacht - vor, während und nach dem Krieg.
Von Reinhard Kriechbaum
„Folklore-Regisseur“, „Drahtzieher“, „Senkrechtstarter im organisierten Heimatvereinswesen“, „Event-Schöpfer“, „Volxmusiker“ gar: Sehr moderne Begriffe und Beschreibungen finden sich in dem Buch, das heuer erschienen ist. „Im Blickpunkt: Tobi Reiser“. Der vom Salzburger Volksliedwerk herausgegebene Band dokumentiert ein Symposion über Tobi Reiser anlässlich dessen 100. Geburtstag 2007 in St. Johann. Eine wichtige Veranstaltung damals, und ein wichtiges Buch – denn das Phänomen Tobi Reiser wird letztlich bis heute sehr pauschal und durchaus vorurteilsbehaftet gesehen. Auf die unübersehbar großen braunen Flecken am Nimbus des Salzburger Volksmusik-Chefgottes weist man je nach eigener politischer und ideologischer Position mehr oder weniger deutlich, mehr oder weniger salopp hin. Das Urteil fällt im Allgemeinen recht pauschal und indifferenziert aus.
Das müsste so nicht sein, denn grundsätzlich sind musikalisches Wirken und politische Komponente sehr gut erforscht. Verdienst des Symposions (und dieses Buchs) ist es, dass die Autoren für ihre umfänglichen Beiträge eben dieses Wissen sondiert und Ergebnisse älterer Arbeiten über Tobi Reiser und sein Umfeld zusammengeführt und neu bewertet haben.
Der für den „Normal-Leser“ entscheidende Beitrag kommt von Karl Müller. Der Germanist handelt in seinem Aufsatz „Tobi Reiser als Kind seiner Zeit(en)“ nicht nur die Biographie ab, sondern er stellt dieses Leben in den Zusammenhang der geistesgeschichtlichen Strömungen. Die Feinmechanismen, nach denen Tobias Reiser als junger Volksmusikant hineingekommen ist in das Blut-und Boden-Denken der Nationalsozialisten, die Karriere-Optionen, die sich dem leidenschaftlichen „Liedpfleger“ plötzlich boten: Das ist hier sehr gewissenhaft und anschaulich aufbereitet, so dass dieser Beitrag in Summe ein Stück Salzburger Kulturgeschichte über ein gutes Stück des 20. Jahrhunderts offeriert.
Karl Müller kommt selbst aus der „Volksmusikszene“ kommt und bringt entsprechende Sympathien mit. Als einer der Mentoren des Instituts für Jüdische Kulturgeschichte an der Universität Salzburg ist er aber auch ein wacher Aufarbeiter des damaligen Zeit-Ungeistes. Das bewahrt ihn vor Schlagseiten in die eine oder andere Richtung, und das macht diese Aufschlüsselung so wertvoll. Das Tobi Reiser keineswegs „hineingeschlittert“ ist in den Nazi-Sumpf, und dass er nach den Krieg gelogen hat wie gedruckt, um gleich wieder gut dazustehen, wird nicht verschwiegen.
Und wie hat Reisers superschnelle Renaissance gleich ab 1946 nun wirklich funktioniert? Da ist der Aufsatz von Wolfgang Dreier erhellend, denn da wird der charismatische Aspekt dieses Volksmusik-„Pflegers“ deutlich. Reiser ist es ja gelungen, so manche Neuerung einzuführen und gleichwohl im Sinn vermeintlicher Tradition publicityträchtig zu „verkaufen“. Stubnmusi mit „Salzburger“ Hackbrett: eine Neuerfindung, so wie das Adventsingen auch. Keinem anderen ist es gelungen, so viele Eigenkompositionen in den innersten Kanon der alpenländischen Volksmusik einzuschleusen. Stichwort: „Jetzt fangen wir zum Singen an.“ Tobi Reiser hat hierzulande eben die Volksmusik-Spielregeln gemacht.