Monumental ironisch
DIALOGE / HAGEN QUARTETT / MITTERER / OENM
01/12/11 Den dicken schwarzen Balken in den Noten sah man sogar im Publikum! Auf dem Pult der Orgel im Großen Saal lag György Ligetis „Volumina“, ein Stück bei dem weniger robusten Instrumenten leicht die Luft ausgeht. Ligeti lässt den Organisten alle Register ziehen - und in alle Tasten gleichzeitig hauen. Ein Ur-Erlebnis zur Dialoge-Eröffnung.
Von Heidemarie Klabacher
Ligeti lässt den Organisten aber nicht nur mit monumentalen Clustern und Klangblöcken und „Ellbogentechnik“ spielen. Immer wieder scheint der Tuttiklang sich in sich selbst zurückzuziehen - wie ein Geist, der nach unten in seine Flasche verschwindet - und aus den verhallenden Klangflächen wächst und wächst immer schneller das virtuoseste Rankenwerk. Einzeltöne werden hör- Einzelregister erkennbar. Die Orgel lässt sich in die Karten schauen, für Augenblicke, bevor die nächste Kaskade, der nächste Sturm unter Donner und Blitz heranrollt.
Natürlich geht das nicht ohne Register-Zieher. Bei manchen Klängen versucht man vergeblich, der Orgel - bzw. dem Organisten - auf die Spur zu kommen: Wo kommt dieser Klang jetzt her? Dieses Geister-Register gibt es nicht. Ist die Orgel gar präpariert worden? Mit Schwellwerk allein geht das nicht… Aber allein das Aus- und Einschalten einer Orgel bei gedrückten Tasten ergibt effektvolle Heuler. Damit - und mit halb gezogenen Registern - hat György Ligeti schon in den Sechzigerjahren gespielt. Und ein technisch so brillantes Instrument wie die Orgel im Großen Saal des Mozarteums fährt auf solche Mätzchen natürlich voll ab. Man schien direkt zu spüren, dass es hinter vornehmen Prospekt hoch her geht.
Der Organist Wolfgang Mitterer war der Hexemeister, der die Klangmassen mit Ellbogen und kleinem Finger virtuos im Zaume hielt. Immer wieder teilte er dem Instrument großzügig seinen Anteil am lärmenden Applaus zu.
Konzentriert auf die vier Instrumente eines Streichquartettes, dennoch alle gewohnten Formen, Gewohnheiten und Erwartungen sprengend, entfachte das Hagen Quartett einen durchaus ähnlichen Aufruhr: mit Ludwig van Beethovens Streichquartett cis-Moll op. 131. Gleichsam aus dem Nichts entwickelt sich eine leise zarte Fuge, traumverloren, gerät ein wenig in Bewegung, sinkt in sich zurück… Das ist quasi das letzte, an das man sich „klaren Sinnes“ erinnert - dann rollen die weiteren sechs Sätze über den Hörer herein, wie eine Lawine oder wie das Schicksal.
Der 1826, ein Jahr vor seinem Tod, längst vollständig ertaubte Beethoven hat sich um Kompositionsprinzipien, Sonatenhautsatzform samt Exposition und Durchführung, keinen Deut mehr geschert. Hat er niedergeschrieben, was sein inneres Ohr gehört hat angesichts von körperlichem Zerfall oder angesichts des gestirnten Himmels? Niemand weiß es. Auf jeden Fall hat er gesagt: "Die Kunst will es von uns, das wir nicht stehen bleiben." Und so reißt op. 131 noch nach 185 Jahren den Zuhörer in einen emotionalen Hurrikan. Das Hagen Quartett bringt es nun fertig, an diesem diesen Monolithen (die Satzübergänge sind kaum zu erkennen) zu kratzen, wagt es - mit einem ironischen Triller, mit einem bizarren Fetzen Jahrmarktmusik, einer jazzig betonten Basslinie - Steinchen in das gnadenlos sich drehende Schicksalsrad zu werfen.
Georges Apergis’ „Dark Side“ für Mezzosopran und 18 Instrumente, ein Monolog der Klytämnestra nach dem Mord an Agamemnon, hat es da bei aller Raffinesse in der Komposition und aller Brillanz in der Wiedergabe durch Salome Kammer und das oenm nicht leicht, etwas dagegenzuhalten.