Sphärenmusik, Allgedröhn, Urklang
ORGEL PLUS / HERMANN NITSCH
10/10/11 Die drei Wörter finden sich auf einem der Partiturblätter, die anlässlich des Nitsch-Abends zum Beginn der Stiftungsreihe „Orgel plus“ ausgestellt waren.
Von Reinhard Kriechbaum
Wie sieht eine Nitsch’sche Partiturseite aus? Der Begründer des Orgien-Mysterien-Theaters komponiert auf Millimeterpapier in DIN A4-Größe. Linien und Zahlen bestimmen die graphischen Partiturblätter, manches ist völlig geschwärzt (und das meint wohl einen Cluster, wie Nitsch – das sollte das Konzert zeigen – sie so gerne produziert). Immer wieder überraschen Angaben wie „Blaskapelle unisono“ oder „6 Schuhplattler melodisch“. Im Künstlergespräch vor dem Konzert hat Nitsch gesagt, seine Partituren würden sich, eben wegen ihrer graphischen Anlage, „noch in tausend Jahren“ ohne weiteres erschließen.
Sphärenmusik, Allgedröhn, Urklang: Die drei Wörter beschreiben auch den Eindruck vom Orgelkonzert. Holzstangen unterschiedlicher Länge gehören normalerweise nicht zum Handwerkszeug der Organisten – Nitsch legt sie über die Tasten und erzeugt damit Cluster, er und sein Assistenten-Pärchen ziehen nach und nach alle Register. So bauen sich mächtige Klangwellen auf, der Raum wird mit in üppigem Forte überschwemmt.
Diese Musik, der die Melodie vollends fehlt, ist eben Urklang. Oder, wenn man will: ein Füllmittel, das wie Filmmusik die optische und haptische Aktion, das Nitsch’sche Orgien-Mysterien-Theater ergänzt. Dafür gab es lange Sequenzen auf zwei großen Videoscreens links und rechts von der Orgelbank. Man bekam wieder einmal zu sehen, wie Nitsch (linke Seite) mit einer Vielzahl von Assistenten in Malaktionen die Tableaus bearbeitet, durch Schütten, Betreten, durch Verteilen der dicken Farbe mit Gummihandschuhen.
Auf dem rechten Screen die legendäre „122. Aktion“ im und vor dem Burgtheater, mit ihren zeremoniellen Kreuzigungsszenen, mit dem Ausweiden eines geschlachteten Stiers, mit „Prozessionen“ und schließlich einem orgiastischen Reigen ums tote Vieh, auf Tomaten und Weintrauben.
Irgendwie ist da das gewaltigste Forte aller, wirklich aller möglichen Mikturen auf der Orgel gerade die richtige akustische Dimension dafür. Die Windanlage der Propter homines-Orgel hat bestens bestanden. Wären noch wie noch in Bruckners Zeiten Balgtreter vonnöten zur Erzeugung des orgelwindes: Man hätte die gesamte Belegschaft eines Fitnessstudios engagieren müssen.