Neapolitanisches Fundstück
BACHGESELLSCHAFT / JOHANNES-PASSION
17/04/11 Sonst erzählt solche Geschichten immer Riccardo Muti zu Pfingsten. Aber auch andere graben in den Bibliotheken und Archiven Neapels: Auf dem Programm des Osterkonzerts der Bachgesellschaft stand neben Vivaldis „Stabat Mater“ die Johannes-Passion des – wohl nicht ganz zu Unrecht vergessenen – Neapolitaners Francesco Feo (1691-1761).
Von Erhard Petzel
„350 Jahre lang schlummerte die Partitur im längst verschlossenen Oratorio dei Filippini in Neapel. Dann hat Lorenzo Ghielmi eine Kopie der Johannes-Passion von Francesco Feo aufgespürt. Nun erklingt das barocke Klangjuwel zum ersten Mal in Österreich“, hieß es vorab. Am Freitag (15.4.) präsentierte Ghielmi mit seinem Originalklangensemble „La Divina Armonia“ das Fundstück in der Großen Aula.
Mit geschmeidigem Timbre führte zunächst die Mezzo-Sopranistin Marta Fumagalli durch die ein- und ausdrucksvollen Seelenlandschaften von Vivaldis „Stabat Mater“. Die Wiederholungen der Texte sind niemals Ursache für musikalischen Stillstand. Die Fülle erlesener musikalischer Ideen bringt jedes Wort in neuer Gestalt, Wörter in neuer Kombination und den musikalischen Hintergrund in neuer Schattierung ohne Beigeschmack von maniriertem Selbstzweck.
Diese dezent ausgeloteten Detailflüsse verbinden sich zu einem harmonisch strukturierten Ozean durch raffinierte Analogien. Kontemplative Ruhe im Nachhören des Schmerzes verbindet „Cuius animam gementem …“ mit „Quis non posset contristari …“: Plateaus für expressive Dynamik. Ein fulminantes Finale krönt das gefällige Werk mit Amen-Koloraturen auf die Liebe zu Gott „Ut sibi complaceam“. Der Schmerz löst sich in Schönheit und ist Teil möglicher Einheit mit einer göttlichen Welt.
Für diese göttliche Welt streitet an vorderster Front das Ensemble „La Divina Armonia“, angeführt von Lorenzo Ghielmi vom Cembalo aus. Die minimal besetzten Streicher erfüllen den Kosmos geforderten Ausdrucks mit selbstverständlicher Intensität. Eine breit aufgesetzte Continuo-Gruppe bringt in Francesco Feos Johannes-Passion zusätzliche Klangfarben. So wird die Harfe (Marta Graziolino) zum Herold für die Ankündigung Jesu (strahlend Krystian Adam). Es sang das Collegium Vocale der Salzburger Bachgesellschaft.
Ein Garant für ungetrübten Hörgenuss ist der bewegliche und facettenreiche Altus von Doron Schleifer als Evangelist. Er überzeugt nicht nur davon, dass man dem Kastratenwesen keine Träne nachzuweinen braucht, er bringt die barocke Gestensprache auch dort als Kunst zur Geltung, wo sie der heutige als Hörer antiquiert und an der Grenze zur Lächerlichkeit wahrnimmt. Dort, aber auch in der Behandlung des Chores und der kleinen Arien, zeigt sich der Klassenunterschied zwischen Franceso Feo und den Großen.
Dennoch ist die Wahl dieses Programmpunktes kein Anlass für Tadel. Wenn auf diesem Niveau musiziert wird, entsteht auf alle Fälle Spannendes und Bewegendes. Solisten (etwa Mirko Guadagnini mit einem profunden Pilatus), Chor und Chorsolisten überzeugen in ihrer Künstlerschaft als Vermittler der Osterbotschaft, getragen vom Klangzauber der Instrumente. Feo funktioniert also durchaus als Medium und hat glanzvolle Schönheiten zu bieten. Die vergleichende Auseinandersetzung macht dann auch die großen Werke wieder kostbarer, die Gefahr laufen, als Repertoire die Wahrnehmung zu ermüden. Reicher Applaus für einen reichen Abend.