Mehrere Regalmeter Gotteslehre
MOZARTEUMORCHESTER / BOLTON / h-MOLL MESSE
08/04/11 Zunächst klang es nach Glaubensk(r)ampf mit allen Mitteln. Streng, starr und unversöhnlich basslastig ließ Ivor Bolton das „Kyrie“ dahermarschieren. Das „Gloria“ begann als strahlende Festsmusik und endete mit einer beinah unverschämt tänzerischen Cum-sancto-spiritu-Fuge, bei der die Engel Salti schlugen.
Von Heidemarie Klabacher
Mit dem Credo von Johann Sebastian Bachs monumentaler h-Moll Messe haben Ivor Bolton, das Mozarteumorchester und der Balthasar Neumann Chor endgültig zueinander gefunden - und ihr Publikum ein für alle Mal mitgerissen in die heitersten und ernstesten Sphären der Cherubim und Seraphim.
Was noch im Gloria tendenziell banale Lautstärke mit Hang zum Lärm war, verwandelte sich plötzlich in pure Intensität und strahlende Kraft. Das seltsam gleichförmige Stampfen der Bässe und Celli wurde zum vorwärts treibenden pulsierenden Quell. Dass ab dem Credo nur mehr ein Cello im Continuo gespielt hat, war zwar auffallend. Aber es war nicht ausschlaggebend dafür, dass die brillanten Gesangsolisten in den Arien mit konzertierenden Instrumenten - Geige, Flöte, Englischhorn, Horn - plötzlich wundersam feine Klanggemälde auf markant, aber fein grundierter Instrumentalbasis entwerfen konnten.
Im Kyrie schien noch auf jeder einzelnen Stimme tonnenschwer die Last der Verantwortung - etwa zur Verhinderung einer Glaubensspaltung - zu lasten. Dafür dürfte es nach dem strahlenden „Credo in unum Deum“ bei den achthundert „Auserwählten“ im Großen Saal künftighin keinerlei Glaubenszweifel mehr geben.
Zwei Solisten des Balthasar Neumann Chores (die Sopranistin Tanya Aspelmeier und der Altus Matthias Lucht) sangen das „Et in unum Dominum“, eines der dogmatischen Schwergewichte, mit der Anmutung eines Liebesduetts. Ein Salzburger Sänger war auch in der Sängerrunde: Virgil Hartinger hat mit schlankem beweglichen Tenor die Benedictus-Arie strömen lassen. Das Geheimnis der Menschwerdung im „Et incarnatus est“ hat man selten so geheimnisvoll und zugleich anschaulich geschildert bekommen, wie vom Balthasar Neumann Chor: In den absteigenden Melodielinien hat Bach mehrere Regalmeter Gotteslehre greifbar gemacht. Wie auch mit dem „Et in Spiritum Sanctum Dominum“, das vom Bass-Solisten Stefan Geyer mit größter Gestaltungskraft mit Bedeutung erfüllt wurde.
Wie ja überhaupt ausgerechnet der protestantische Meister die Schwergewichte katholischer Dogmatik in klangsinnlichste und anschaulichste Bilder verwandelt hat. Die Ausführenden dieser Referenz-Interpretation haben sie im Großen Saal mit Leichtigkeit, Farbigkeit und Präzision vermittelt. Sie haben, etwa mit dem von Bolton geradezu tänzerisch angelegten „Et resurexit“ den Jubel der Osternacht um zwei Wochen vorweg genommen.
Tatsächlich waren ab dem Credo alle Sätze derart transparent musiziert und gesungen, dass es ein Vergnügen und mit Leichtigkeit möglich war, den einzelnen Chorstimmen zu folgen. Wie Ivor Bolton und das Mozarteumorchester mit beredeter Phrasierung den Sängerinnen und Sängern im Sanctus den Klangraum öffneten, um den Übermut purzelnder Putti und die Würde der Mächte und Gewalten gleichzeitig darzustellen - das sucht Seinesgleichen.