Der Wundergesang eines Menschenfreundes
GROSSES FESTSPIELHAUS / TURANGALILA-SYMPHONIE
20/03/11 Nach dem Krieg, in einem Werk, das in Boston von Leonard Bernstein aus der Taufe gehoben wurde – da durfte es schon auch jazzeln. Selbst bei einem Komponisten, den man eher als Meister der Vogelstimmen abgespeichert hat. - In der Sonntags-Matinee des Mozarteumorchesters: Olivier Messiaens Turangalila-Symphonie.
Von Reinhard Kriechbaum
Und wie es am Sonntag (20.3.) zur weit vorgerückten Matineen-Stunde, viertel nach eins, gejazzelt hat! Da hat Ivor Bolton, ein letztes Mal in diesen achtzig Minuten geballter (Über)Lebensfreude, die kleine Armee seiner Mitstreiter noch einmal so recht angestachelt. Mit bewundernswerter Konditionsstärke hat das Mozarteumorchester wirklich alles gegeben, was an Präzision, an Tonkultur, an Aufeinander-Hörern, aber auch an Laune und Musikantentum nur denkbar ist – gerade so, als ob den Spielern zu diesem Zeitpunkt nicht schon alles abgefordert worden wäre.
Aber das war eben eine der Besonderheiten dieser Wiedergabe, die man lange im Gedächtnis behalten wird: All die Mühsal, wie sie die komplexen Rhythmen, die ungewöhnlichen metrischen Überlagerungen, der im Grunde luzide Anspruch eines zwar monumentalen, aber eben immer auf Durchhörbarkeit angelegten Werks einfordert, war dieser Interpretation nicht anzuhören.
Ein wenig erinnert die Turangalila-Symphonie ja an das Gleichnis von den Blinden, die einen Elefanten ertasten. Wer die Stoßzähne zu fassen kriegt hat einen ganz anderen Eindruck als jemand, der vom Rüssel aufs ganze Tier schließt. Die zehn Sätze der Turangalila-Symphonie: Das ist Stück um Stück eine Annäherung an die menschenfreundlich-idealisierende, die Natur und die Liebe als eine Art Religions-Mythos in Einklang bringende Weltsicht des Olivier Messiaen.
Fast banal, da das Einzelne beschreiben zu wollen: etwa den „Jardin du sommeil d'amour“ mit seiner grandiosen Transzendenz der Streicher, über denen das Soloklavier (anschlags-schön und präzis: Steven Osborne) die Vogelstimmen entfaltet, während die Ondes Martenot, die Soloklarinette und die Soloflöte wie als Geschmacksverstärker in Erscheinung treten und den Klang färbend überhöhen. Oder das bei aller Urgewalt so immens fein klanglich aufgefächerte explosive Peitschen in jenem Abschnitt, der so vielsagend „Joie du sang des etoiles“ überschrieben ist.
Ivor Bolton weiß, wie er die Dinge zu gewichten, die großen Bögen zu formen hat. Er erliegt nicht vorschnell Pseudo-Romantizismen, lässt herbe Entwicklungen zu. Es wollen ja auch die „exotischen“ Tonskalen zu ihrem Recht kommen, die insistierenden Wiederholungen von Motiven. Die Balance zwischen klarer Struktur und süffig tönendem Cinemascope war an diesem Vormittag ideal gewahrt.
Thomas Bloch war der Solist an den Ondes Martenot, diesem elektronischen Wellen-Sampler, der den Orchesterklang auffüllt mit Glissandi und mysteriös-unterschwelligem Wabern. Schier allgegenwärtig präsent als Dialogpartner: der Pianist Steven Osborne.
Entsprechend groß der Jubel nach diesen achtzig Minuten Exegese eines der Schlüsselwerke der Musik des 20. Jahrhunderts.
Das wäre abendfüllend, und Matineen-füllend sowieso. Was die Programmgötter dazu bewogen haben mag, dem kapitalen Werk von Messiaen Liszts Erstes Klavierkonzert vorauszuschicken, bleibt schleierhaft. Man leistete sich den Luxus eines weiteren, brillanten Pianisten – Kirill Gerstein (anstelle der erkrankten Mihaela Ursuleasa). Er wurde mit (wenn überhaupt) viel zu wenigen Proben ins Rennen geschickt. An seiner Anschlagsdelikatesse (vor allem im Finalsatz) ist es nicht gelegen. Man darf freilich nicht mäkeln: Gelegentlich war das Orchester doch pünktlich zur Stelle. Nicht nur im Schlussakkord.
Die besonders gut besuchte Matinee (die letzte in dieser Saison) war Auftakt zu einem Messiaen-Tag in Salzburg. Zur Stunde des Erscheinens dieses Berichts sitzt Ivor Bolton gerade an der Domorgel, danach geht es weiter im Orchesterhaus.