Jedermanns Prometheus-Digest
KULTURVEREINIGUNG / BOLTON / SIMONISCHEK
27/05/21 Mit einem bejubelten „Gruezi“ eröffnete das Sinfonieorchester Basel, seit 1975 erstmals wieder zu Gast in Salzburg, das erste Nach-Lockdown-Konzert der Kulturvereinigung und begeisterte mit Schubert und Beethoven. Intensiv verstärkt hat den Abend im Großen Festspielhaus Rezitator Peter Simonischek.
Von Horst Reischenböck
Für Ivor Bolton, den Chefdirigenten des Sinfonieorchesters Basel war‘s ein Heimspiel. Er kennt das Große Festspielhaus aus seiner Salzburger Zeit in- und auswendig. Weiß also auch die – für klassische Verhältnisse ideal schlanke 45er-Besetzung – an und ins Treffen zu führen: Die Streicher ohne Vibrato, dazu Akzente der gelegentlich bewusst rau geblasen Naturhörner, der ventillosen Trompeten und der von harten Schlägeln traktierten Pauken.
Zu Beginn Franz Schuberts viel zu selten gespielte Symphonie Nr. 2, B-Dur D 125: Nach der präzise artikulierten Largo-Einleitung in den Kopfsatz federte das Allegro kraftvoll auf die als Höhepunkt eingeschriebenen Dissonanzen zu. Liebevoll modellierte Ivor Bolton die Variationen des Andante, die aus heiteren in dunkle Gefilden abschweifen. Dem kaum tanzbar dahin stampfenden Menuett folgte das Presto vivace als eine virtuos dahinjagende Tour de force. Animiert aufrüttelnd musiziert, begeistert angenommen.
Das monothematische Finale dieser „Jugendsymphonie“ mit seinem daktylischen Rhythmus lieferte gedanklich den Anknüpfungspunkt ans Hauptwerk des Abends, Ludwig van Beethovens ebenso selten gespielte ausgedehnte Ballettmusik Die Geschöpfe des Prometheus op. 43, die hier allerdings etwas gekürzt gepielt wurde. Eigentlich kann nur die Ouvertüre als allgemein bekannt angesehen werden, einmal abgesehen von der geläufigen „Eroica“-Melodie, die sowohl die Basis zu den Klaviervariationen op. 35 darstellt, wie auch die Dritte bekrönt.
Neben Glucks Don Juan handelt es sich um die einzige große durchkomponierte Ballettmusik aus klassischer Epoche, in der sich auch das aufkommende gesellschaftliche Interesse an der Antike spiegelt. Vom Choreographen als „heroisch-allegorische“ Handlung erdacht, inspiriert Prometheus Beethoven zu genial farblich instrumentalen Finessen, derer er sich später ähnlich nie mehr bedienen sollte.
Der zugrunde liegende gedankliche Handlungsverlauf genügte offenbar den Ausführenden nicht in ausreichendem Maß zum Nacherzählen. Der Autor Alain Claude Sulzer schrieb deshalb für das
Sinfonieorchester Basel einen eigenen, philosophisch angereichert weit gespannten Text, in den er unter dem Deckmantel der Allgemeingültigkeit im Schnellverfahren von Orpheus und Eurydike bis hin zur Büchse der Pandora allerhand an griechischer Mythologie hineinpackte. Für modernes Bildungsbürgertum, egal ob mit den grandios konzertierenden Klängen konform oder nicht. Beethoven kann sich ja nicht mehr wehren!
Peter Simonischek darf da noch vor der bewusst so gesetzten ersten Orchester-Dissonanz die Schöpfung an Hand der antiken Götterwelt in Erinnerung rufen, bis Prometheus‘ Spiel mit dem Feuer Zeus erzürnt - ausgedrückt in Beethovens fühestem Gewittersturm. Dass die bewusst „sprechende Musik“ stolpernde Schritte der ersten Menschen darstellt, dass Prometheus sie zwecks Schulung von Vernunft und Empfindung den Musen auf dem Parnass anvertraut, ist keiner Erläuterung bedürftig wert. Selbsterklärend auch etwa die Harfenklänge Euterpes samt zauberhaft geblasenem Flötensolo, bis hin zu dem bei Beethoven seltenem Einsatz eines Bassetthorns oder Apollos Cello. Funkelnd sprühende Gefecht unter- und miteinander. Das Ganze wird zum Schluss von Ivor Bolton beschwörend in die Rondo-Apotheose des Prometheus hinein getrieben. Jedoch ohne verbale Erzählung. Schade um Peter Simonischeks sonore Erzähl- und Sprachkunst.