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Ein „Like“ ist kein Feedback

CORONA-GESPRÄCH (3)

23/04/21 „Besonders schräg fand ich Streaming-Partys mit DJs. Das kam selbst mir als Performerin zu albern vor.“ Soweit Susanne Lipinski im Mica Interview. Didi Neidhart sprach mit Wolfgang Descho, Marco Döttlinger, Jürgen Vonbank, Astrid Rieder und Susanne Lipinsiki über fehlendes Feedback, Social Media und virtuelle Besucherzahlen.

Von Didi Neidhart

Mica: Glaubt ihr, dass unterschiedliche Live-Genres – Theater, Performance, Konzerte, Clubbings – unterschiedlich gut oder schlecht) mit Streaming zurechtkommen?
Susanne Lipinski: Besonders schräg fand ich Streaming-Partys mit DJs. Ich konnte nicht gut zu Hause zu aufgelegter Musik tanzen. Das kam selbst mir als Performerin zu albern vor. Und ja – da gibt es sicherlich einen Unterschied: Hat man vorher nur analog gearbeitet und ohne neue Medien, dann fiel der Übergang sicher schwer, da die Ressourcen und Expertisen nicht immer vorhanden waren.
Wolfgang Descho: Das ist vor allem auch eine finanzielle Frage. Je höher der Aufwand, umso besser, sprich professioneller, das Ergebnis.
Astrid Rieder: Für Einzelpersonen ist es schwierig, all diese Möglichkeiten auszuschöpfen, da man ein geeignetes Equipment braucht, um bei Streamings eine gute Qualität zu schaffen. Viele bleiben so auf der Strecke und wechseln den Beruf.
Marco Döttlinger: Ja bestimmt. Ich denke, dass es Konzerte grundsätzlich sehr schwer haben, die Spannung, Energie, Dynamik, Begegnung etc. als Online-Format zu realisieren. Aus meiner Sicht reicht es keinesfalls, da eine Kamera hin zu bauen und dann zu glauben, das wäre schon in Ordnung oder angemessen. Sobald man sich damit ernsthaft beschäftigt, muss man die Konzertform verlassen und arbeitet in Bereichen wie z.B. Musikfilm, filmische Realisation einer Aufführung/Performance oder Musikvideo, vielleicht sogar Kunstfilm. Jedenfalls aber streamt man nicht ein Konzert, sondern man streamt etwas, was man zum Streamen entwickeln muss. Wenn man die medialen Implikationen des Präsentationsformates nicht mitdenkt, ist das Ergebnis meist sehr arm, wie man oft sieht.

Mica: Wie lebt es sich ohne direkte Feedbacks, oder haben sich die durch Clicks, Likes und Kommentare eh gut woandershin transformiert?
Susanne Lipinski: Gemeinsames Schauen bedeutet auch gemeinsames Chatten, das war unsere Erfahrung. Trotzdem – das schon erwähnte gemeinsame Atmen der Crowd fehlt!
Wolfgang Descho: Feedbacks gibt es da natürlich auch, die sind aber in keinster Weise mit den “echten” Feedbacks zu vergleichen.
Astrid Rieder: Natürlich fehlt das direkte Feedback von Zuseherinnen und -sehern, das gerade bei Performances sehr wichtig ist. Es geht bei dieser Kunstform ja um konzeptuelle Rezeption, wenn Musikerinnen/Musiker und Zeichnerinnen/Zeichner interagieren. Außerdem fehlt der Lecture-Talk, der am Ende jeder Performance in meinem Atelier durchgeführt wird. Einen Anstieg von Likes, Clicks und Kommentaren seit dem ersten Lockdown im Frühling 2020 habe ich nicht bemerkt.
Jürgen Vonbank: Persönlich sehe ich in einem „Like“ kein konkretes Feedback. Das sagt in der Regel nichts darüber aus, ob sich jemand wirklich mit dem Inhalt befasst hat. Persönliches und direktes Feedback ist schwer zu ersetzen.
Marco Döttlinger: Beim Streamen fehlt die gemeinsame Erfahrung und die Teilhabe. Egal ob als Gruppe von MusikerInnen oder als Gast eines Theaterabends. Das gemeinsame Erleben und sich dann gleich darüber vor Ort auszutauschen vermisse ich sehr. Diese Erfahrungen lassen sich nicht virtualisieren. Das Problem ist dabei ja nicht so sehr, ob etwas auf einer Bühne mit MusikerInnen passiert oder im Kino ein Film gezeigt wird, sondern, dass man sich nicht treffen kann, um etwas gemeinsam zu erleben.

Mica: Gäbe es bei Euch auf Grundlage der bisherigen Erfahrungen , bzw. Bedenken und Probleme, Ideen für neue Formate. Etwa Clips oder vielleicht auch irgendwas zwischen Instagram, TikTok, Memes und GIFs? Also eine verstärkte Hinwendung zu rein digitalen Kulturformen?
Susanne Lipinski: Jein. Ich hätte gerne ein Lieferservice mit Live-Cooking, einer Haubenküche und einer Performance verbunden. Aber dafür hatten wir zu wenig Budget.
Wolfgang Descho: Es ist davon auszugehen, dass die digitalen Übertragungsformen sich zu einem dauerhaften Zusatzangebot entwickeln werden. 
Astrid Rieder: Wie bereits erwähnt, empfinde ich den Aufritt in den sozialen Netzwerken als gute und wahrscheinlich notwendige Ergänzung zum tatsächlichen Kunst und Kulturgeschehen. Eine komplette Verlagerung auf digitale Medien halte ich für nicht sinnvoll und nicht bereichernd.

Jürgen Vonbank: Bei Minerva Records steckt bereits sehr viel Zeit in der Bewerbung unserer Produkte über Social Media. Wir nutzen diese Bühne gerne, aber eigentlich würden wir doch lieber weniger Zeit am Smartphone oder PC verbringen und mehr in direktem Kontakt mit unseren Kundinnen und Kunden stehen. Schließlich wurde der Laden ja auch mit der Absicht einen sozialen Ort zu schaffen gegründet. Eine weitere Intensivierung digitaler Formate ist also eher nicht geplant.

Marco Döttlinger: Nicht wirklich. Kann ein Meme dieselben Fragen aufwerfen, wie eine kontroverse nächtliche Diskussion nach einer Performance? Ich weiß nicht und glaube auch nicht daran. Aber solche Memes würd ich gern sehen.

Mica: Wie werden die Streaming-Angebote und YouTube-Kanäle überhaupt angenommen? Sind da dann mehr Leute online als vergleichsweise bei einem Konzert, sei in „Echtzeit“ oder auch zeitversetzt?

Susanne Lipinski: Durch unseren Koproduktionspartner ARGEkultur sowie einer guten Werbung (auch weil sonst nicht viel los war) und dem Thema Systemrelevanz hatten wir für den Streaming-Termin in der ARGEkultur neunzig verkaufte Karten. Unsere Erfahrung liegt eher bei durchschnittlich 45 Zuschauerinnen und Zuschauern pro Abend.
Wolfgang Descho: Ja, es sind mehr Leute dabei. Das hat aber auch sicher damit zu tun, dass unsere Live-Streams gratis sind.

Astrid Rieder: Gestreamte „trans-Art“-Performances werden angenommen, jedoch gibt es vergleichsweise wenig Zuseherinnen und Zuseher. Instagram-Live-Stream-Aufrufe sind jedoch im Vergleich zu Facebook und Youtube recht hoch.
Marco Döttlinger: Da habe ich verschiedene Erfahrungen gemacht – beides kam vor.

Mica: Merkt Ihr dabei Alters- bzw. Generationenunterschiede?
Susanne Lipinski: Ja, die Älteren lernen lieber dazu, die Jüngeren verlangen von sich aus schon alles „zu können“.
Wolfgang Descho: Nein. Das hängt wie immer einfach vom konkreten Angebot ab.

Marco Döttlinger: Nein, nicht sehr.

Mica: Was seht Ihr, wenn Ihr in die Zukunft blickt, bzw. was sollte da zu sehen sein?

Susanne Lipinski: Wieder Live-Aufführungen, Performances, Konzerte, viel Outdoor, neue Formate, viel Reflexion, viel Diskurs und Diversität trotz Corona. Ich kann mir gut vorstellen Outdoor-Führungen für jeweils eine Person zu machen, etwa mit einem 2-Meter-Seil zwischen mir und der Zuseherin, dem Zuseher. Ah, da fällt mir ein, das ist auch eine gute Form für mehr Publikum und würde gleich auch was sichtbar machen: Eine Seilschaft, gern neben den Seilbahnen, das würde dann auf mehreren Ebenen die unfassbare aktuelle Ungleichbehandlung der Kultur im Gegensatz zu anderen Branchen sichtbar machen. … Jedenfalls sind Kunst & Kultur nicht still, es brodelt im Inneren, es braut sich was zusammen und das Ergebnis werden super intensive (hoffentlich nicht zu pathetisch leidende) Performance-Abende, intensive Musik-Konzerte und noch diskursivere Get-Togethers sein, die das Miteinander feiern.
Wolfgang Descho: In mittlerer Zukunft hoffentlich wieder echte Live-Konzerte. Aber Streaming wird sich als Zusatzangebot etablieren.
Astrid Rieder: Wenn ich einer guten Kulturfee begegnen würde, dann hätte ich folgende Wünsche: Dass die Austrian Music Week der AACS (Österreichischer Komponistenbund) im Juni im „trans-Art“-Studio stattfinden wird können. Außerdem wünsche ich mir, dass alle Künstlerinnen und Künstler in dieser turbulenten Zeit weitermachen! Viele Künstlerinnen und Künstler wechseln gezwungenermaßen den Beruf und das ist wirklich sehr schade. Eine Rückkehr des Publikums zu den do trans-Art Performances in mein Atelier würde mich sehr freuen!
Jürgen Vonbank: Wir hoffen natürlich, weitestgehend zu unserem Pre-Corona-Betrieb zurückkehren zu können. So wie es sich abzeichnet, wird dies aber wohl gerade bei Events nicht ohne Zutrittskontrollen gehen. Das wirft natürlich wieder Fragen der Kontrolle, Zuständigkeit und nicht zuletzt der Diskriminierung auf. Letzteres betrachte ich durchaus mit Sorge, denn bereits jetzt scheint ein tiefer Riss durch die Gesellschaft angesichts der Debatten um Corona und den damit zusammenhängenden Maßnahmen zu gehen. Die Vorstellung, auf engstem Raum mit vielen Personen zu lauter Musik zu tanzen, ist wohl noch in relativ weiter Ferne. Die Hoffnung darauf haben wir aber nicht verloren. (Ende der Interview-Reihe)

DrehPunktKultur dankt seinem Kooperationspartner Mica Austria. Das Interview mit den Vertreterinnen und Vertretern der Salzburger Szene ist auch nachzulesen auf - www.musicaustria.at
Bild: www.kollinski.com
Zum ersten Teil Sehr viel Arbeit für wenig Geld
Zum zweiten Teil Streamen hat seine Grenzen

 

 

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